Lorane saß auf dem Fensterbrett in ihrem
Zimmer und hatte ihren Kopf in ein Buch gesteckt. Sie war heute früher
aufgewacht als sonst, weswegen sie noch genügend Zeit hatte, bis die Schule
begann. Sie blätterte eine Seite weiter. Ihre Augen flogen über die Zeilen
hinweg, huschten aber öfters noch einmal hinauf, um einen Satz erneut zu lesen.
In den letzten Tagen war sie sehr nachdenklich gewesen, wie immer zu dieser
Zeit. Es war Anfang März, die Bäume draußen auf der Straße bekamen ihre ersten
Knospen und der letzte Schnee schmolz dahin. In wenigen Tagen war es wieder
soweit, dann war der zehnte März, Loranes Geburtstag. Eines, der wenigen Dinge,
welches ihr Gedächtnis ihr noch geben konnte. Dieses Jahr war es ihr
fünfzehnter, dann war es ungefähr fünf Jahre her, dass sie zu Jenny und Markus
gekommen war.
Lorane
wusste, dass diese beiden nicht ihre richtigen Eltern waren, Markus und Jenny
hatten ihr das damals sofort erklärt. Ihre wahren Eltern konnte sich Lorane kaum
ins Gedächtnis rufen. Sie war nur in der Lage sich bis zu dem Moment zurück zu
erinnern, an dem Jenny sie vor ihrer Haustür gefunden hatte, nachdem sie durch
die Straßen getaumelt war. Das wenige, was ihr geblieben war, waren ihr Name
und die Andenken an den zehnten März, alles andere glich eher einem
verschwommenen Gemälde, das Lorane nie so recht zu deuten wusste. Es war als
wollte ihr Verstand sie darin hindern hinter die einfachen und offensichtlichen
Erinnerungen zu blicken. Hin und wieder sah sie in ihren Träumen lange Gängen,
die sie in einem riesigen Gebäude entlangging. Manchmal glaubte sie sich an
eine riesige Stadt und ein Gefühl von Heimweh zu erinnern. Ein klares Bild
wollte sich aber nie formen.
Als sie
Jenny gefragt hatte, woher sie gekommen war und warum sie bei ihr war, hatte
diese sie nur mit leeren Augen angeschaut. Dennoch hatte sie sich bereit
erklärt Lorane bei sich aufzunehmen, nachdem sie mit Markus alles mehrmals
besprochen hatte. Dieser war zunächst nicht allzu erfreut gewesen ein fremdes
Mädchen von zehn Jahren bei sich aufzunehmen, doch er war weich geworden,
nachdem er Loranes Geschichte gehört hatte und sich immer wieder Jennys
flehende Miene ansehen musste. Es war ja nicht so gewesen, dass er kein Kind
haben wollte, aber er hätte lieber ein eigenes bekommen, um dieses selbst
großzuziehen. Doch mit der Zeit hatte er Lorane in sein Herz geschlossen und
sie als seine Tochter akzeptiert.
Lorane
klappte jetzt ihr Buch zu und warf einen Blick auf die Uhr an ihrem linken
Handgelenk. Wo zum Henker blieb denn Jeremy? Er holte sie morgens immer ab,
damit sie gemeinsam zur Schule gehen konnten. Heute schien er allerdings auf
sich warten zu lassen, obwohl er normalerweise immer pünktlich war. Erneut
schaute Lorane auf ihre Uhr. Noch länger konnte sie jetzt nicht auf ihn warten,
es war schon nach viertel acht und dreiviertel würde die erste Stunde beginnen.
Da war Jeremy bereits der ältere von beiden (er würde im April siebzehn werden)
und war somit von Lorane zum Verantwortungsvollem erklärt worden und dann so
was. Lorane grummelte und wusste genau, was die erste Frage war, die Jeremy
heute zu hören bekommen würde.
Sie stand
auf stellte sich noch einmal vor ihren kleinen Holzspiegel, der direkt neben
der Tür hing und bürstete sich ihr dunkelrotes Haar, das ihr bis zur Hüfte
reichte, bis sie es zu einem Pferdeschwanz zusammenband. Sie schnappte sich
ihren Rucksack und lief zur Tür hinaus. Mit einer Umarmung für Markus und einem
Kuss auf die Wange für Jenny verließ Lorane das Haus.
Draußen
herrschten zwar mildere Temperaturen, aber dennoch zog Lorane den
Reißverschluss ihrer Jacke nach ganz oben, als sie den Gehweg entlanglief.
Gerade frisch aus den Winterferien zurückgekehrt, gähnte sie trotzdem, als sie
an einer Ampel stand, doch das lag wohl eher an der Tatsache, dass Lorane
einfach keine Person war, die am Morgen gut zu gebrauchen war. Anders jedoch
Jeremy, der zu fast jeder Zeit wach und aufmerksam zu sein schien. Umso mehr
überraschte es Lorane, dass er sie nicht pünktlich abgeholt hatte. Vielleicht ist er ja krank, dachte sie
sich, was sie allerdings nicht wirklich glauben konnte, da Jeremy so gut wie
nie krank wurde. Lorane lachte kurz auf. Vielleicht war er ja dieses Mal extra
früh aufgestanden und war schon in der Schule. Sie kannte Jeremy. Er war ein
absoluter Bücherwurm, wenn er nirgendwo anders zu finden war, saß er
höchstwahrscheinlich in der Bibliothek und brütete über irgendeinem Wälzer.
Gerade
als Lorane über ihren besten Freund schmunzelte, kam dieser fast wie aus dem
nichts von links auf sie zugelaufen. Sie blieb stehen und wartete bis er bei
ihr war, bevor sie ihn begrüßte.
„Morgen,
Schlafmütze.“
Jeremy
strich sich einige Strähnen seines schwarzen Haares zurück, die ihm ins Gesicht
gefallen waren, dann erwiderte er Loranes Lächeln. Er war ein Stück größer als
das Mädchen und blickte mit freundlichem Gesicht zu ihr hinunter während sie
ihren gemeinsamen Schulweg in schnellen Schritten fortsetzten.
„Du bist
doch sonst immer so früh wach“, fragte Lorane. „Wieso heute so spät? Wegen dir
hätte ich vielleicht noch die erste Stunde verpasst.“
Zunächst
lachte Jeremy kurz auf, dann antwortete er:
„Ich
hatte noch etwas Wichtiges zu erledigen, was leider etwas länger gedauert hat
als geplant.“
Er
hoffte, dass sie es nicht bemerkte, doch Jeremy war nicht gut darin den Ton seiner
Stimme zu verstellen. Lorane sah auch, dass er an dem Henkel seiner
Umhängetasche herumfummelte oder sich hastig den Kragen seines pikfeinen weißen
Hemdes richtete.
„Bist du
nervös?“, fragte Lorane sofort. „Du wirkst komisch.“
Sie
bemerkte sofort, dass er versuchte ihrem Blick auszuweichen, ließ aber nicht
locker und sah ihn so lange an, bis er Antwort gab. Ertappt nahm er die Hände
von der Tasche und begann mit ihnen die Nervosität in seinen Worten beiseite zu
gestikulieren.
„Ehrlich
gesagt hat es etwas mit dir zu tun.“
Sie sah
ihn überrascht an und ihr fiel auf, dass ihm das nicht wirklich angenehm zu
sein schien. Ohne zunächst weiter zu fragen, wartete sie, um zu sehen ob er
noch etwas sagen würde.
„Du hast
doch in drei Tagen Geburtstag…“, sprach Jeremy schließlich weiter, „Ich wollte
fragen ob es für dich in Ordnung wäre, wenn…“
Er brach
kurz ab, um sich zu sammeln. Lorane sah ihn mit großen Augen an und wunderte sich
ob Jeremy gerade das versuchte zu fragen, was sie vermutete oder ob er bloß
versuchte witzig zu tun.
„Ich
wollte etwas mit dir besprechen und deswegen wollte ich dich fragen, ob wir uns
kurz vor diesem Tag irgendwann einmal treffen könnten?“
Für einen
kurzen Moment wäre Lorane beinah stehengeblieben. Sie stutzte und wagte es nun
nicht mehr Jeremy direkt anzusehen.
„Meinst
du das auf die Art, für die ich es gerade halte, oder…?“ Sie wusste nicht genau
wie sie es ausdrücken sollte.
Sofort
riss Jeremy die Augen auf und schüttelte heftig den Kopf.
„Nein! So
meine ich das nicht!“, sagte er hastig mit einem nervösen Lachen. Er hatte
gehofft, dass es nicht zu dieser merkwürdigen Situation kommen würde, aber bei
der Art von Fragestellung ließ sich das wahrscheinlich nicht vermeiden. „Ich
wollte nur etwas mit dir so bald wie möglich besprechen, das ist alles!“
Er war
rot geworden und hatte die Stimme leicht erhoben, doch dann steckte er mit
einer aufgeregten Bewegung seine Hände in die Hosentaschen und wagte es nicht
weiter ein Wort in den nächsten Minuten zu sagen.
„Ist okay“,
beruhigte Lorane ihn und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Schließlich nickte
sie mit dem Kopf und sagte: „Wir können uns mal nach der Schule treffen.“
-
Der
Schultag verging ohne größere Ereignisse und Lorane war mehr als froh, als nach
einer nicht enden wollenden Physikstunde endlich die Klingel der Freiheit
ertönte. Sie beugte sich zu Jeremy hinüber, der in Ruhe seine letzte
Rechenaufgabe ausfüllte.
„Nach
Hause?“
„Es ist
Dienstag. Du weißt, dass ich nicht kann.“
„Ach ja!“
Lorane griff sich an die Stirn. „Der Schach-Club braucht sein einziges
Mitglied.“
„Von
insgesamt sechs, Dankeschön!“, entgegnete Jeremy.
Lorane
rollte mit den Augen und beide lachten. „Na dann mach ich mich mal auf den
Weg“, sagte sie und Jeremy ließ sich wiederwillig umarmen. „Bis morgen!“
Das
Wetter war trüb geworden und Wolken hatten sich vor die Sonne geschoben. In den
Tiefen ihrer Jacke versteckt bog Lorane gerade in eine Nebenstraße ein, die direkt
auf die Hauptstraße führte. Da Jeremy sie nicht begleitete, nahm sie den Weg an
einigen alten Wohnblöcken vorbei, damit sie schneller Daheim ankommen würde.
Dann such‘ ich mir halt nächstes Halbjahr
auch einen schicken Club raus.
Um ehrlich zu sein, hatte Lorane bereits früher darüber nachgedacht, aber sich
nie für einen Club hatte entscheiden können. Zum Schachspielen zumindest hatte
Jeremy sie bis heute nicht überzeugen können. Sie lächelte über diesen
Gedanken, als sie auf einmal von hinten umgestoßen wurde. Fluchend landete sie
auf den Boden und drehte sich sofort nach dem Täter um. Niemand war zu sehen.
„Was
zum-?“
Sie stand
auf und klopfte sich den Dreck von der Hose, da ertönte ein Lachen in der Passage.
Es klang amüsiert und war ganz in der Nähe, doch nach wie vor konnte Lorane
niemanden ausmachen.
„Hallo?“
Ihrer
Erwartung entsprechend antwortete keiner, stattdessen wurde das Lachen immer
lauter, bis man meinen konnte, dass der Mann direkt hinter ihr stehen musste.
Lorane drehte sich um.
Ein Mann,
ganz in Schwarz gekleidet, stand ihr direkt gegenüber. Sein Gesicht wurde von
einer Kapuze und einem Tuch verdeckt, so dass sie keine genaueren Züge
ausmachen konnte.
„Beweg
dich nicht“, sagte der Mann. Seine Stimme war tief und ihre Ernsthaftigkeit
schien regelrecht die Luft zu zerschneiden. „Es wird dir nichts passieren.“
Er trat
an sie heran und Lorane wollte wegrennen, konnte jedoch nicht. Ihre Beine waren
wie versteinert. Benommenheit hatte von ihr Besitz ergriffen.
Der Mann sah
an ihr hinunter, wobei er Lorane mit seinen Augen fixierte. Die wiederum spürte
nun mit jeder Sekunde mehr und mehr, wie Schwäche sie drohte zu übermannen, so
dass sie kurz davor war gleich wieder auf dem Boden zu landen. Kälte durchdrang
ihre Gliedmaßen und raubte sie ihrer Sinne. Sie sank mit ihren Knien auf den
Asphalt und sah wie der Mann näherkam. Was wollte der nur von ihr?
Über
ihnen zogen die Wolken vorbei und Sonnenstrahlen fielen auf die Straße. Diese
trafen direkt auf den vermummten Mann, der plötzlich zurückschreckte. Die Erschöpfung
in Loranes Körper ließ nach. Sie erhob sich und sah, dass der Mann sich
schützend versuchte die Kapuze noch weiter ins Gesicht zu ziehen. Lorane dachte
nicht lange nach. Ein kräftiger Tritt in eine unangenehme Region ließ den Mann
zusammensacken. Sofort wandte Lorane sich und sprintete die Passage entlang.
Einmal noch sah sie hinter sich.
Der Kopf
des Mannes fuhr soeben mit schmerzverzogener Miene nach oben, wobei ihm die
Kapuze herunterrutschte. Erschrocken wandte Lorane wieder den Kopf nach vorn und
rannte so schnell sie konnte. Der Mann hatte sie mit blutroten Augen angesehen!
Der Puls
der beiden raste als Lorane hinter sich die Tür zuwarf. Ihr Atem ging schwer
und sie brauchte einige Sekunden bis sie sich wieder richtig bewegen konnte,
erst dann ging sie von der Tür weg.
Was zum Teufel war das für ein Typ?! Aufgeregt
lief Lorane in der Wohnung auf und ab. Markus und Jenny waren glücklicherweise
noch nicht wieder da, sonst hätten die beiden jetzt mit einem riesigen Theater
angefangen. Das brachte Lorane sofort zu ihrem nächsten Gedanken: Soll ich den beiden davon erzählen?
Ihr
erster Instinkt sagte ja, aber sofort kamen Zweifel auf. Dies war eine
ernsthafte Situation, dieser Kerl hatte sie immerhin angreifen wollen. Was er
noch vorgehabt hatte, wagte sie sich gar nicht vorzustellen. Aber was würde es
schon bringen Jenny und Markus davon zu erzählen? Die beiden machten sie eh
schon genug Sorgen um sie, vor allem um diese Zeit. Lorane wollte ihnen nicht
noch mehr unwohle Gedanken bereiten.
Außerdem
war das, was sie gesehen hatte… Es konnte nicht stimmen, der Kerl hatte ihr nur
einen Schreck einjagen wollen. Rote Augen? Kontaktlinsen
vielleicht. Aber was soll das denn? Mit so etwas konnte Lorane unmöglich
ankommen, das würde ihr doch keiner glauben. Wohlmöglichen würde man sie dann
noch auslachen, weil sie behauptete eine Art Vampir hätte sie angegriffen. Aber diese Kälte. Diese unerträgliche
Kälte, die Lorane beim Anblick dieser Augen überkommen war. Sie hatte keine
Chance gehabt. Als der Blick sie getroffen hatte, war es als hätte der Mann sie
nach seinem Willen festhalten können. Als wäre die Energie in ihrem Körper
nicht mehr ihre eigene.
Lorane
schüttelte sich. Sie wusste nicht, wie sie das Erlebnis hätte beschreiben
sollen. Also begab sie sich auf ihr Zimmer und schlüpfte unter ihre Bettdecke,
wo sie beschloss erst einmal darüber stillschweigend nachzudenken.
-
Lorane
hatte beschlossen Jeremy nichts von den gestrigen Ereignissen zu erzählen. Es
war fünf Minuten bevor die Schulklingel ertönte, als sie gemeinsam ihr
Klassenzimmer betraten. Sie kehrten gerade vom Sportunterricht zurück, was
Lorane eine Ausrede gab, weswegen sie wortloser als sonst sich ihre Hefter auspackte.
Herr
Viler hatten sie alle gehasst vom ersten Moment an da er ihren Klassenraum
jemals betreten hatte und dies beruhte wohl auf Gegenseitigkeit. Vor einem Jahr
hatte er an ihrer Schule zu unterrichten und bis heute fragten sich die meisten
Kinder, ob er wirklich den richtigen Job hatte. Heute sollte der Schultag also mit
einer wunderbaren neuen Folterstunde des Mannes enden. Die Stimmung aller würde
für den Rest des Tages in Tiefschlaf versinken.
Hinter
sich warf Viler die Tür ins Schloss und knallte buchstäblich seine Mappen auf
den Tisch. Alle wussten, dass mit diesem Mann nicht zu spaßen war, weswegen
augenblicklich alle Schüler in Schweigen verfielen, als Herr Viler sich vor
ihnen aufstellte.
„Morgen“,
verkündete er ohne jegliche Freude in seiner trockenen Stimme, wobei er den
Schülern nicht mal die Chance gab ebenfalls einen guten Morgen zu wünschen und
sofort weitersprach. „Ich hatte euch gestern Hausaufgaben aufgegeben, die ich
gern hier vorn auf meinem Tisch von allen am Ende der Stunde sehen will.“
Keiner
wagte es einmal auch nur ein genervtes Grummeln oder Stöhnen von sich zu geben,
was normalerweise auf solch eine Aussage hin folgte, stattdessen hörte man das
Geraschel von Papier und Heften, aus welchen einige der Schüler bereits ihre
gemachten Arbeiten hervorholten, um sie parat zu haben. Herr Viler lief gern
beim Stillarbeiten durch die Reihen, um schon einmal zu sehen ob auch wirklich
alle Schüler ihre Aufgaben erledigt hatten.
Lorane
rollte nur mit den Augen, nachdem Herr Viler seinen stummen Blick in die Klasse
beendet hatte und zu einem Stück Kreide und seinem Notizbuch griff. Der Anfang
eines weiteren kleingeschriebenen Blocktextes, der am Ende der Stunde die ganze
Tafel ausfüllen würde.
„Der Mann
scheint echt nur Probleme Zuhause zu haben“, wandte sich Lorane so leise wie
möglich an Jeremy neben ihr während sie begannen abzuschreiben.
„Vielleicht
braucht er bloß jemanden zum Frust abladen“, erwiderte Jeremy im selben Ton.
Lorane
wagte es nicht aufzulachen, doch nickte mit einem kleinen Lächeln. Ruhestörung
wurde bei Viler absolut nicht geduldet.
„Jeremy,
könntest du wiederholen was ich eben erklärt habe?“
Jeremy
wandte sofort den Kopf nach vorn, Lorane zog scharf die Luft ein und blickte
betreten zu Boden. Alle anwesenden Schüler wussten, was Jeremy sogleich blühen
würde, doch keiner von ihnen wagte es sich direkt zu ihm umzudrehen.
„Nein,
kann ich nicht“, antwortete Jeremy schließlich.
„Und
warum nicht?“, bohrte Viler extra noch nach und sah ihm dabei direkt in die
Augen.
„Weil ich
gerade nicht aufgepasst habe“, sagte Jeremy trocken, wobei er so gut wie
möglich versuchte dem Blick des Lehrers standzuhalten. Vilers helle Augen waren
wie scharfe Eiszapfen, die sich in Jeremys Kopf bohrten und ihn an jedem seiner
Worte mit einem qualvollen Gefühl zurückließen.
„Das
dachte ich mir schon. Das war ja auch nicht das erste Mal“, erwiderte Viler
nach einer kurzen Pause, in der er sich ein hämisches Lächeln nicht verkneifen
konnte. „Du kommst nach der Stunde zu mir nach vorn.“
Und als
wäre nichts weiter Auffälliges geschehen, drehte sich Herr Viler zurück zu
seiner Tafel und begann wieder mit seiner unleserlichen Handschrift die Tafel
zu bombardieren.
Alle
Schüler versuchten es ihm gleichzutun, doch in Gedanken blickten sie gerade
alle Jeremy an, der nun wieder langsam seinen Kopf wandte. Selbst für Viler war
es eher selten einen Schüler nach Ende des Schultages dazubehalten und Lorane
kam nicht umhin Jeremy einen mitleidigen Blick zu zuwerfen. Dieser sah nun zu
ihr hinüber. Mit ihren Lippen sprach sie Stumme die Worte die Worte Tut mir Leid.
-
Jeremy
schien Lorane dafür verantwortlich zu machen, dass er Ärger mit Viler bekommen
hatte, denn nach der Stunde sah, noch hörte sie ihn. Lorane wusste nicht genau,
ob sie wütend auf ihn oder sich selbst sein sollte, denn irgendwo konnte sie
nachvollziehen, dass er sauer war, da sie ihn zuerst angesprochen hatte. Sie
versuchte sich keinen allzu großen Kopf darum zu machen, aber eben weil Jeremy
ihr bester Freund war, hämmerte dieses kleine Schuldgefühl in ihrem Hinterkopf auch
noch für den restlichen Tag weiter, als sie am späten Nachmittag gemeinsam mit
Jean bei ihr Zuhause an den Schulaufgaben saß.
„Dir ist
schon klar, dass das ein bisschen dämlich ist, oder?“
Lorane
sah sie verwundert an, gab ihr aber dann mit einem langsamen Kopfnicken Recht.
„Du weißt
doch, dass Viler so ein Idiot ist, der bestraft doch jeden sobald er die Chance
dafür sieht“, fuhr Jean fort und Lorane schmunzelte einen Augenblick.
Jean lag
natürlich vollkommen richtig, außerdem gab es momentan Wichtigeres, als sich um
eine kleine Freundschaftskrise zu kümmern.
„Apropos“,
sagte Lorane schließlich, „Wir müssen Vilers Hausaufgabe noch fertig bekommen.
Es ist schon fast dunkel, ich muss bald gehen.“
Jean
zuckte mit den Schultern.
„Lies
nochmal die Aufgabe vor“, bat Lorane.
Jean
blätterte kurz in ihrem Hefter.
„Interpretieren
Sie das gegebene Gedicht und vergleichen Sie es mit dem Gedicht zwei auf der
folgenden Seite.“
Beide
Mädchen stießen einen genervten Laut aus.
„Ich
hasse solche Aufgaben“, gab Jean sofort laut kund. „Vor allem mit diesen
sinnlosen Texten, die der uns immer gibt! Wer weiß, wo Viler die immer herbekommt.“
Lorane
musste ihr zustimmen. Sie mochte zwar Literatur, aber was Viler ihnen zum Lesen
gab, war von sehr merkwürdigem Inhalt geprägt. Mehr als einmal ging es um unbekannte
Gestalten und seltsame Naturbeschreibungen, die mehr einer Darstellung des
Weltuntergangs ähnelten, als irgendwelchen angeblich poetischen Texten.
„Ich
glaube kaum, dass der Autor sich da beim Schreiben wirklich etwas gedacht hat,
dafür klingt das alles viel zu absurd“, sagte Jean spöttisch und Lorane lachte.
Doch vom
Beschweren würde sich an dieser Aufgabe leider auch nichts ändern, also nahmen
die zwei Mädchen das Gedicht in Angriff und saugten sich alle möglichen Ideen
einer Interpretation aus den Fingern.
Nach
einer halben Stunde hatten die beiden so
weit wie möglich alles aufgeschrieben, was ihnen einfiel, auch wenn sie beide
wussten, dass Viler damit nicht zufrieden sein würde. Aber bei solchen Aufgaben
taten die beiden oft einfach das Nötigste, um sich nicht noch länger damit zu
quälen.
„Na ja,
ich mach lieber langsam los“, sagte Lorane schließlich und stand auf. „Markus
und Jenny werden sonst sauer, wenn ich erst nach ihnen nach Hause komme.“
Sie warf
ihren Rucksack über die Schulter und gemeinsam liefen sie zur Haustür. Hastig
zog sie sich ihre Schuhe an, umarmte Jean zum Abschied, dann ging sie hinaus.
Es sollte
sich jedoch herausstellen, dass all ihre Arbeit umsonst gewesen war. Es war der
Tag vor Loranes Geburtstag und Viler war nicht da. Zur Freude aller war er an
diesem Morgen nicht zur Arbeit erschienen und sie konnten ihren Unterricht mit
einem Vertretungslehrer verbringen. Das bedeutete eine entspannte Stunde, in
der Lorane sich endlich die Zeit nehmen konnte, um mit Jeremy zu sprechen, der
sich nun doch wieder neben ihr heute hatte blicken lassen.
„Hey“,
begann sie vorsichtig.
Jeremy
wandte sich zu ihr um, sagte aber nichts.
„Tut mir
Leid wegen der Sache mit Viler gestern, ich hoffe der alte Idiot war nicht zu
streng mit dir.“
Einige
Sekunden vergingen, dann lachte Jeremy auf. „Alles in Ordnung. Es gab nur ein
paar mahnende Worte und die übliche Lektion, aber nichts weiter.“
„Okay,
gut“, seufzte Lorane erleichtert. Sie überlegte einen Moment. „Du wolltest doch
mit mir was besprechen. Wie wär’s wenn wir das später irgendwo in einem Café
machen, jetzt wo du wieder mit mir redest?“
Sie hatte
ihn nur ärgern wollen, sah jedoch kurz Argwohn auf Jeremys Gesicht aufblitzen.
„Ist das
okay für dich?“, hakte Lorane vorsichtig nach.
Jeremy
schien einen Augenblick nachzudenken, bis er endlich lächelte. „Klingt gut. Wie
wär es wenn wir uns gegen fünf hier vor der Schule treffen? Ich weiß, wo wir
hingehen könnten.“
Erfreut
nickte Lorane. „Das passt doch. Ich freu mich schon.“
-
Markus
und Jenny arbeiteten in einem Krankenhaus, weswegen beide des Öfteren lange
nicht Zuhause auftauchten. Also hinterließ Lorane am späten Nachmittag eine
Notiz auf dem Küchentisch und machte sich auf den Weg.
Jeremy
war bereits da, als Lorane zur Schule kam. Ein grimmiger Schatten lag über
seinem Gesicht. Als er sie jedoch näherkommen sah, schüttelte er den Kopf und
setzte ein höfliches Lächeln auf. Die beiden begrüßten sich, wobei Jeremy
nervös die Umarmung dieses Mal vermied.
Wortlos
gingen die beiden zunächst die Straße entlang bis sie ein Café abseits der
Hauptstraße erreichten. Es war ein kleines Bistro, die beiden waren die
einzigen Gäste, was wahrscheinlich auch angenehmer war. Lorane setzte sich an
einen Tisch, während Jeremy an der Theke für sie beide bestellte und
schließlich mit zwei Tassen Tee zu ihnen an den Tisch kam.
Er sprach
nicht sofort an worüber er reden wollte, weshalb die beiden sich zunächst
schweigsam gegenüber saßen bis Lorane von Vilers Verschwinden erzählte, um so
die Unterhaltung zu starten. Sie war neugierig, was Jeremy ihr sagen wollte,
aber sie wollte ihn auch nicht drängen.
So saßen
die beiden die ersten Minuten da und unterhielten sich, Lorane kam es ein wie
Small Talk vor. Sie waren noch immer die einzigen zwei Gäste im Café, von den
Mitarbeitern sahen sie nicht viel. Nur als die beiden ihre Tassen leergetrunken
hatten, beobachtete Lorane einen Mann mit längeren, blonden Haaren, der begann
an den Frontfenstern die Jalousien hinunterzuziehen.
„Schließen
die schon?“, fragte sie ein kleinwenig überrascht.
„Sieht so
aus“, erwiderte Jeremy trocken.
Das
letzte Fenster wurde zugezogen.
„Vielleicht
sollten wir doch lieber zu mir gehen, wenn die jetzt schon zu machen.“
Jeremy
antwortete nichts und Lorane blickte noch einmal zu der Bedienung, die sich von
den Fenstern nun in ihre Richtung wandte.
Ihr
stockte der Atem.
Es war
der Mann aus der Gasse. Sie konnte ihre Augen nicht von ihm abwenden, denn
Lorane musste mit Schrecken feststellen, dass sie sich bei dem kurzen Blick,
den sie auf ihn erhascht hatte, nicht getäuscht hatte. Die Augen des Mannes
waren rot und sahen sie mit einer tiefen Herablassung an.
„Jeremy!“,
rief Lorane und sprang vom Stuhl auf. „Wir sollten gehen! Und zwar schnell!“
Sie
wandte sich zu ihm um. Seine Hand klatschte gegen ihr Gesicht und sie ging zu
Boden.
„Jeremy!
Was zum Teufel- ?!“
Über ihr
stand Jeremy, ihr bester Freund, der sie soeben geohrfeigt hatte und nun mit
einem seltsamen Lächeln auf sie herabsah.
Lorane
wusste nicht wie ihr geschah. Das vor ihr war nicht der Junge, den sie seit
zwei Jahren kannte und bisher nie irgendjemandem etwas zu Leide tun konnte.
Neben ihn stellte sich nun der Mann vom Vortag und sah sie mit demselben
höhnischen Blick an. In seinem schmalen Gesicht, unter seinem linken Auge
verlief eine blasse Narbe, auf die Loranes Blick unweigerlich fiel. Sie hörte
wie sich irgendwo eine Tür öffnete und kurz darauf traten noch zwei andere
Gestalten hinzu, die wie ihre Gesichter unter Kapuzen verbargen. Nur Jeremys
Gesicht war das einzige, was Lorane vertraut war. Auf diesem prangte nun ein
gehässiges Grinsen und sah sie mit einer seltsamen Gier in den Augen an.
„Jeremy!“,
rief Lorane verzweifelt aus, weil sie nicht wusste, was sie sonst sagen sollte.
Jegliche anderen Worte versagten ihr.
Als hätte
besagter Junge sich gerade an etwas erinnert, schnippte Jeremy kurz mit den
Fingern. Lorane konnte nicht glauben, was sie da sah. Er bewegte leicht den
Kopf und, als würde er es von sich schütteln, verschwand das tiefe Schwarz in
seinen Haaren und wurde ersetzt durch ein helles Blond, welches sich nun bis
über seine Schultern zog. Das Gesicht wurde blasser und wich einem um fünfzehn
Jahre älteren, das sie nun ebenfalls mit derselben bedrohlichen Farbe ansah,
die auch in den Augen der anderen lag.
„Hat ja
auch lange genug gedauert“, sagte der Mann mit einem gespielten Seufzer bevor
er wieder sein hässliches Grinsen aufsetzte. „Nicht Jeremy, Kleine. – Velacio“
Er sprach mit einer Beiläufigkeit in der Stimme, die Lorane einen Schauer über
den Rücken laufen ließ.
Sie
wusste nicht mehr, was gerade passierte. Jeremy hatte sich direkt vor ihr
soeben in einen erwachsenen Mann mit stechend roten Augen verwandelt. Diese
schienen ihre eigenen zu durchlöchern, denn so sehr Lorane auch wollte, sie
konnte den Blick nicht von den Männern abwenden. Dann spürte sie erneut wie die
Kälte sie überkam. Plötzlich wurde sie von Velacio am Hals gepackt. Mit aller
Leichtigkeit hob er sie vom Boden und hielt sie direkt vor sich, wobei er keine
Sekunde lang aufhörte zu grinsen.
„Mit
unserem Tyranne wolltest du ja nicht mitgehen, also hab ich es mit deinem
kleinen Freund probiert.“
Er lachte
auf und schmiss Lorane von sich, die mit einem Schrei hart fiel und über den
Boden rutschte. Schwer atmend schaffte sie es den Kopf nach oben zu wenden und
etwas zu sagen:
„Was habt
ihr mit Jeremy gemacht?“
„Nachdem
ich diesen Viler nachgemacht habe, war es ganz einfach ihn dazubehalten“,
erwiderte Velacio gelassen. „Er hätte doch als erster was gemerkt, also haben
wir das gestern schön arrangiert und jetzt bist du hier.“
„Was
wollen Sie von mir?“, fragte Lorane, während das Herz in ihrer Brust zu rasen
schien.
„Als ob
du das nicht wüsstest, Lorane!“, zischte jetzt der Mann namens Tyranne und trat
bedrohlich näher.
Lorane
war verstummt. Woher kannte er ihren Namen? Und warum dachten die sie wüsste
worum es ging?
„Ich weiß
wirklich nicht warum-“, setzte sie zu einer verzweifelten Erklärung an, da
stieß jemand mit aller Kraft die Tür des Cafés auf.
Jeremy keuchte
und ließ seinen Blick schnell über die sich ihm bietende Szenerie schweifen. Er
sah zu seiner besten Freundin, die am Boden lag und augenscheinlich mit der
Ohnmacht kämpfte.
„Jeremy…?“,
sagte sie leise und konnte den Unglauben in ihrer Stimme nicht verbergen.
Die
Männer sahen den Jungen wütend an und für einen Moment war das amüsierte
Grinsen aus ihren Gesichtern verschwunden. Die zwei Männer, die noch immer die
Kapuzen aufhatten, sahen doch dann schnell wieder hinunter zu Lorane. Die hatte
versucht sich wieder aufzurappelnd, doch als die Blicke der roten Augen sie trafen,
trat erneut die Erstarrung in ihre Glieder. Langsam aber sicher konnte sie die
Augen nicht mehr offenhallten.
„Du wärst
besser in deinem gemütlichen Versteck geblieben, Jeremy“, sagte jetzt der Anführer Tyranne. Er betonte den Namen des
Jungen seltsam sarkastisch.
Er
lächelte wieder, doch Jeremy sah ihn mit eingefrorener Miene an. Der Mann
schnippte mit dem Finger in Richtung seiner Kumpane.
„Genug
gespielt. – Schnapp sie dir, Alero.“
Einer der
Kapuzenträger trat vorwärts auf Lorane zu, die mittlerweile nicht mehr in der
Lage war dem Gespräch aufrecht zu folgen.
„Man
sieht sich, kleiner Paul“, sagte nun Velacio theatralisch und lachte genüsslich.
Ein
letztes Mal horchte Lorane verblüfft auf, als sie den ihr sonderbar vertrauten
Namen hörte, doch dann packte Alero sie am Kragen und Velacio ging auf Jeremy
zu. Sie schaffte es nicht länger Widerstand zu leisten, vor ihr verschwamm
jegliche Sicht.
Doch
bevor Alero sie ganz hinauf gezogen hatte und Velacio Jeremy erreicht hatte,
griff dieser in seine Jackentasche. Er hielt etwas Rundes und Schimmerndes in
seiner Hand, das Lorane vor plötzlicher Helligkeit noch einmal blinzeln ließ.
Sie spürte, wie sie ganz zu Boden fallengelassen wurde. Dann konnte sie die
Ohnmacht nicht länger zurückhalten und schloss ihre Augen.
-
Ein Gefühl
der Schwerelosigkeit umfing Lorane bis ihre Augen langsam aufgingen. Sie lag
nicht in ihrer Wohnung. Als sie sich aufrichtete sah sie, dass Jeremy neben ihr
auf einem alten Stuhl sitzend ein Buch las. Sie lag auf einem kleinen Sofa in
der eh schon spärlich ausgestatteten Wohnung, die nur aus einem Raum zu bestehen
schien. Während Lorane sich bedachtsam wieder in Bewegung setzte, blickte
Jeremy sofort auf, dann lächelte er.
„Du bist
gerade noch rechtzeitig wach geworden“, sagte er, wobei er das Buch beiseite
lag. „Das wäre ansonsten etwas merkwürdig für dich gewesen, wenn es im Schlaf
passiert hätte.“ Er warf einen Blick hinüber zu einer Uhr, die an der Wand
hing. Es waren nur noch wenige Minuten bis Mitternacht.
Lorane
sagte zunächst nichts. Sie sah ihn mit einer Mischung aus Misstrauen,
Verwirrung und Unglauben an, nicht sicher was sie zuerst sagen sollte.
„Du
bist…“, stotterte sie schließlich. „Bist du- Ich meine… Du bist Jeremy. Oder?“
Sie kam
sich ein wenig dumm vor so eine seltsame, aber dennoch banale Frage zu stellen,
doch nachdem was sie gesehen hatte, fühlte sie die Notwendigkeit dafür. Das
Lächeln auf den Lippen des Jungen wich einem sanftmütigen Gesichtsausdruck und
einem versicherndem Kopfnicken.
„Ja, ich
bin es. Mach dir keine Sorgen, wir haben diese Männer abgehängt.“
Er sah
wieder zu der Uhr hinüber.
„Wer
waren die?“, fragte Lorane schließlich. „Was wollten die von mir?“
Jetzt
setzte Jeremy eine nachdenkliche Miene auf, sein Lächeln war verschwunden und
er zögerte zunächst einen kurzen Augenblick.
„Ich kann
es dir sagen, aber-“ Er sah erneut zur Uhr. „Lorane, es wird gleich etwas mit
dir passieren.“
Er sah zu
ernst aus, als das Lorane überhaupt die Chance hatte danach zu fragen ob das
eine Art Scherz sei.
„Was
meinst du damit?“, fragte sie stattdessen und sah ihn leicht taxierend an.
Jeremy
schüttelte den Kopf. Es war einer der seltenen Momente, da er nicht wusste wie
er etwas erklären sollte. Als sein Blick zum dritten Mal zur Uhr wanderte, verfiel
er plötzlich in Nervosität und sagte hastig:
„Dein
fünfzehnter Geburtstag wird in wenigen Sekunden anbrechen und das ist nun mal
der Zeitpunkt für Leute wie uns. Ich erkläre dir gleich alles!“
Er sah
sie mit einem entschuldigenden Blick an, doch bevor Lorane fragen konnte, was
er mit seinen Worten meinte, sprangen die Zeiger auf Mitternacht.
Ein
warmes Gefühl breitete sich plötzlich in Loranes Brust aus, ganz anders als
das, was sie beim Anblick der Männer empfunden hatte. Es durchströmte ihren
gesamten Körper, glitt hinauf in ihren Kopf, so dass sie aus unerklärlichen
Gründen anfangen musste zu blinzeln, da ihre Augen tränten. Von ihrem Kopf
wanderte das Gefühl nach hinten in ihre Wirbelsäule und brach dort schließlich aus
ihrem Rücken heraus. Lorane konnte spüren, wie sich hinter ihr regelrecht etwas
aufzubauen schien, sich aber dabei dennoch weiterhin an ihr festhielt.
Es hatte
nur einige Sekunden gedauert, das wohlige Gefühl war verschwunden. Lorane hatte
nicht mal bemerkt, dass sie aufgestanden war und jetzt wieder vor ihr Jeremy in
ihr Sichtfeld fiel. Der ältere Junge sah sie mit leuchtenden Augen und einem offenstehenden
Mund an, doch er sah ihr nicht ins Gesicht. Er schien auf etwas hinter ihr zu
blicken. Lorane wandte den Kopf.
Hinter ihr thronten zwei majestätische Flügel
in schwarzer und tiefroter Farbe, die vor wenigen Augenblicken aus ihrem Körper
gekommen waren.