Montag, 1. August 2016

Update: Rewrites, Rewrites, Rewrites...

Ich weiß, dass es sehr lange her ist, dass ich gebloggt habe.Und das obwohl ich mir zu Beginn dieses Blogs vorgenommen habe wenigstens aller zwei Wochen oder so hier mal zu posten. Tja, das hat ja super funktioniert... Wenigstens auf meinem YouTube-Kanal hat das regelmäßige Uploaden bisher erstaunlich gut funktioniert, also wenn ihr hier nichts seht, könnt ihr wenigstens dort immer mal reinschauen. Ich dachte mir aber, dass ich euch wenigstens mal up-to-date bringen könnte, denn immerhin wollte ich ja diesen Blog nutzen, um von den Qualen und Problemen des Schreibens zu berichten.

Wenn ihr euch noch an die weit entfernte Vergangenheit des Mais zurückerinnert, werdet ihr vielleicht den Blogpost gelesen haben nachdem ich endlich das erste Manuskript meines Buches beendet habe. Ich war sehr erfreut an diesem Tag, aber nicht für lang, weil mir klar war, dass trotzdem noch sehr viel Arbeit vor mir liegen würde. Und damit hatte ich mehr als recht.

Die vergangenen Wochen saß ich fast jeden Tag an meinem Laptop und habe wie ein Wilder mein ganzes Buch umgeschrieben. Also nicht das ganze. Das dauert noch bis dahin. Aber was ich alles schon umgeschrieben habe ist echt unglaublich. Da kann man mal sehen, was man als Zwölfjähriger zusammenschreibt, wovon die Hälfte im Prinzip komplett rausgehauen werden muss. Manchmal denke ich mir, dass es für einen Zwölfjährigen gar nicht so schlecht geschrieben war, Tatsache ist aber, dass ich jetzt aber sieben Jahre später hier sitze und ich diese ganzen Logik- und Stilfehler ausarbeiten muss.

Ich habe früher sehr simpel geschrieben. Viele Hauptsätze, kurze Sätze, wenig Erklärung und einfach schnell weiter. Die Liebe zum Detail, für Erklärungen und Logik scheine ich erst mit den Jahren zu entwickelt habe. Man sieht das wirklich sehr gut an den Zahlen: im ersten Manuskript bin ich Story-mäßig auf Seite 72. Jetzt in der Überarbeitung auf Seite 170. Aber trotzdem gleiches Kapitel! Ob das jetzt gut oder schlecht ist sei mal dahin gestellt. Man muss auch sagen, dass ich mich vom Under-Writer zum Over-Writer entwickelt habe. Mein erstes Manuskript war zu wenig und wenn ich diese ersten Rewrites durch habe, wird es bestimmt zu viel sein. Und dann heißt es wieder umschreiben.

Arbeitsplatz

Das Positive an der ganzen Sache ist, dass ich wenigstens nicht mehr mit der Story daherkommen muss. Die ist wenigstens endlich festgesetzt und fertig, ich setze jetzt nur noch Erklärungen und Details dazu. Es wird noch eine Weile dauern, bis ich diese ganzen Rewrites fertig habe, aber zum Glück wird der Schreibstil meines ersten Manuskripts stetig besser, so dass ich bald nur noch abtippen und nicht komplett umschreiben muss.

So sieht's also derzeit aus. Eine Menge zu arbeiten und umzuschreiben, aber wenigstens geht es voran. Ich versuche in nächster Zeit daran zu denken hier mal wieder öfters zu bloggen. Eventuell werde ich ein paar meiner YouTube Videos in schriftliche Form umsetzen, so dass ihr die Tipps auch hier nachlesen könnt. Bis dahin kehre ich zu meinen Rewrites zurück.

Mittwoch, 25. Mai 2016

Review - Das letzte Einhorn

Das letzte Einhorn ist ein Fantasy-Klassiker. So zumindest war mein Eindruck, als ich mir dieses Buch zugelegt habe und die tollen Beurteilungen darüber gelesen habe. Es gibt auch einen ebenfalls sehr bekannten Animations-Film von dieser Geschichte, welche viele Menschen begeistert. Es ist schon etwas zwei Wochen her, dass ich dieses Buch gelesen habe, aber da ich mal wieder eine Review schreiben wollte, und ich hierzu wahrscheinlich kein Video machen werde, dachte ich mir, dass ich wenigstens hier darüber schreibe.

Wie immer kann ich auch hier nur wieder von der englischen Version her urteilen (wie das Bild unschwer erkennen lässt), jedoch wird das wohl kaum im Weg dieser Rezension stehen und außerdem ist es doch schön solch einen Klassiker im Original zu erfahren.



Hier erstmal kurz der Inhalt: Das Einhorn lebte in einem lilafarbenen Wald und sie lebte ganz allein, also verlässt sie die Sicherheit des verwunschenen Waldes, um die anderen ihrer Art zu finden. Begleitet von dem zerstreuten Zauberer Schmendrick und der unerschütterlichen Molly Grue, lernt das Einhorn alles über die Freuden und Leiden des Lebens und der Liebe, bevor sie ihrem Schicksal in der Burg eines niedergeschlagenen Monarchen begegnet - und die Kreatur konfrontiert, die ihre Art zum Aussterben treiben würde.

Das Buch meiner Ausgabe besitzt 294 Seiten, welche in 14 Kapitel unterteilt sind. Die Schrift war groß und die Story ist relativ schnell erzählt, somit dauert es nicht lange, bis man dieses Buch durch hat.

Das letzte Einhorn liest sich wie ein Märchen. Es is erkennbar, das es versucht nicht unbedingt eins zu sein, jedoch scheitert an der Art seiner Erzählung und Figuren und Thematiken. Die ganze Atmosphäre des Buches erinnert an eine Grimm'sche Erzählung, was nicht als etwas Negatives verstanden werden darf, jedoch fallen manche Charaktere und Storyelemente (wie eine Prophezeiung) eben dieser Märchen-Ähnlichkeit zum Opfer.

Die Charaktere der Story sind ganz nett gestaltet und angenehm zu lesen, besonders Schmendrick und Molly haben mir gefallen. Allerdings ist mir auch aufgefallen, dass die Entwicklung der Charaktere selbst nicht sehr groß ist. Sie erleben ein Abenteuer, werden davon aber nicht wirklich beeinflusst oder verändert, zumindest hatte ich nicht das Gefühl, dass sich für irgendjemanden, außer dem Einhorn, sich groß etwas geändert hat. Jedoch sind sind die prominenten Aspekte der Charaktere an sich sehr angenehm gestaltet, so dass man dennoch gern die Dialoge und Erzählungen der Figuren liest.

Die Story an sich ist nicht sehr komplex und wie bereits gesagt schnell erzählt. Die Geschichte vollführt den klassischen Bogen des Aufbaus, so dass man vom Tempo her gut voran kommt und es nur wenige Stellen gibt, die irritieren. Große Überraschungen selbst in der Story nicht enthalten, was der Geschichte aber keinen Schaden antut.

Der Schreibstil von Peter S. Beagle ist im allgemeinen angenehm zu lesen, er bringt einen mit gutem Tempo und interessanten Eindrücken durch die Geschichte. Beschreibungen und Eindrücke vor allem sind sehr prominent und toll geschrieben, jedoch hat Beagle die Tendenz sich manchmal etwas in seiner blumigen/metaphorischen Sprache zu verlieren, so dass die Beschreibungen etwas übernommen klingen. An sich stört dies nicht den Lesefluss, nur wird es nach einer Weile sehr auffällig wenn man erneut "weiß wie Meerschaum" liest und ähnliche Beschreibungen.

Das folgende wird wahrscheinlich vielen nicht gefallen, aber ich hab das Gefühl, dass ich es dennoch sagen muss: für mich war es nicht der großartige Fantasy-Klassiker, den ich mir vorgestellt habe. Versteh mich nicht falsch! Das Buch und seine Geschichte sind nicht schlecht, nur hat es mich auch nicht wirklich vom Hocker gerissen. Die Charaktere haben mir gefallen, jedoch hat mir in der Story die Spannung gefehlt, die einen vor Aufregung die Seite weiterblättern lässt. Ich hab das Buch mit dem Gedanken beendet "Ja, war ganz nett.", aber einen größeren bzw. tieferen Eindruck hat es nicht auf mich hinterlassen. Empfehlen würde ich das Buch durchaus, allerdings mit dem Gedanken, dass man nicht immer so viel von einem Klassiker erwarten sollte.

Ich hoffe, dass ich mit dieser Review euer Interesse für Beagle's Das letzte Einhorn wecken konnte. Habt ihr das Buch gelesen? Was denkt ihr darüber? Schreibt's mir in die Kommentare und lasst mich wissen, ob ich die Klassiker-Fans unter euch wütend gemacht habe.

Mittwoch, 18. Mai 2016

Ich bin mit der Story fertig! (Seit einer Woche...)

Erinnert ihr euch an den letzten Eintrag? Wenn nicht scrollt einfach mal runter. Ich habe darüber geschrieben, dass ich die Klimax meines Buches geschrieben habe und kurz davor stehe die gesamte Story zu einem Ende zu bringen. Tja, und vor einer Woche war es dann so weit:

ich habe das (vorerst) letzte Wort meines Buches geschrieben!


Es ist schon ein tolles Gefühl, wenn man nach sieben Jahren endlich die Story zu Papier gebracht hat, die einem schon so lange im Kopf herumschwebt. Es ist für mich unglaublich, dass ich die Geschichte, welche ich im Alter von 12 (!) angefangen habe zu schreiben bis heute verfolgt und nun endlich zu einem Ende gebracht habe. 

Es hat sich vieles verändert in der Zeit. Nicht nur was die Story selbst und ihre Charaktere angeht, sondern auch was mich selbst als Schreiber und Person angeht. Ich denke durchaus, dass man das besonders in diesem ersten Manuskript sehr gut verfolgen kann, besonders wenn man die ersten Kapitel meines zwölfjährigen Ichs mit dem Epilog vergleicht. 

Aber es freu mich einfach nur, dass ich diese Story endlich in irgendeiner Form niedergeschrieben habe. Es wird noch viel auf mich zukommen, was Ausbesserungen, Überarbeitung usw. angeht, aber fürs erste bin ich froh, dass ich es überhaupt soweit geschafft habe. Jetzt heißt es diese ganze handgeschriebene Story abzutippen und zu verbessern, aber ich glaube nach sieben Jahren schreiben, bekomme ich das auch hin. 

Samstag, 7. Mai 2016

Das Wichtigste liegt hinter mir

Ich hatte heute ein riesiges Gefühl der Freude, das mich den ganzen Tag über begleitete. Denn nachdem ich ständig über diese Stelle nachgedacht und endlich viele Ideen dazu in meinem Kopf hatte, habe ich es heute endlich geschafft:

das Höhepunkt-Kapitel ist vollendet!!!

Um mich etwas klarer auszudrücken: ich habe endlich die Klimax meines Buches geschrieben, der wichtigste Moment der ganzen Geschichte. Gut gegen Böse. Verrat und Freundschaft. Unbekanntes wird aufgedeckt. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht dieses Kapitel zu schreiben, da ich endlich die ganzen Ideen, Hintergrundgeschichten und Plot-Twists rauslassen konnte.

In diesem Kapitel taucht auch nach allen den vielen Worten der Mann auf, dessen Handlager all die Zeit in die Quere unserer Helden kamen und Loranes Eltern auf dem Gewissen haben. Es war toll für Vilarius zu schreiben, da ich mir schon so oft ausgemalt hatte wie der Leser und auch Lorane ihm begegnen würden. Seine Art gefällt mir, er erinnert mich an Andrew Scott's Moriarty in "Sherlock" ^_^ Ich hoffe das ich einen Antagonisten schaffen konnte, der nicht einfach nur derjenige ist, der die Weltherrschaft will. Ich hasse es, wenn ein Bösewicht keinerlei Hintergrund für ihre Taten haben. Für eine gute Geschichte muss man den Bösen genauso sehr lieben wie den Helden. Es gibt einiges an Backstory und Charakterzügen, die ich bis zu diesem Punkt versteckt halten musste und ich hoffe, dass der Leser ebenso eine überraschende Freude an diesem kapitel haben wird wie ich beim schreiben.

Viel kommt nicht mehr. Das 26. Kapitel wird das Letzte sein, dann folgt nur noch ein Epilog zum Abschluss und damit wäre Die Legende von Alteria beendet. Selbstverständlich wird da noch einiges Überarbeiten auf mich warten, aber dennoch freue ich mich riesig diese Geschichte nach sieben Jahren zu einem ersten Abschluss zu bringen. Und wer weiß? In ein paar Tagen werdet ihr vielleicht einen Eintrag darüber lesen, dass ich das letzte Wort meines Buchs geschrieben habe... 

Montag, 2. Mai 2016

Die gute alte Schreibblockade

Es ist schon wieder eine Weile her, dass ich einen Blogpost geschrieben habe; wie üblich... da dachte ich mir: ich nehme einfach mal das Thema meines letzten YouTube Videos und mache daraus einen weiteren Post über Schreib-Tipps. Heute soll es um das altbekannte Problem eines jeden Schreibers gehen. Egal ob Hobby-Autor oder professioneller Schreiber, es betrifft jeden irgendwann mal, jeder hasst es und jeder will wissen wie man es überwindet: die Schreibblockade!


(Quelle: https://blogsheet.info/wp-content/uploads/2014/02/schreibblockade.jpg)


Der gängigste Tipp bei so was ist meistens: geh von deinem Schreibprojekt, geh spazieren und irgendwann fällt dir schon wieder was zum weiterschreiben ein.

MACHT DAS JA NICHT!!!

Ich spreche da aus eigener Erfahrung: im 13. Kapitel (oder so) meines Fantasy-Romans kam ich zu einer Stelle, wo ich einfach nicht wusste, was ich schreiben sollte. Es war eine wichtige Szene, in welcher die Protagonistin in einen Konflikt gerät und diesen aufklären muss. Mein Problem lag darin, dass ich nicht wusste wie ich dieses Gespräch darstellen sollte, ohne bereits die ganzen Informationen zu wiederholen, die ich in vorangegangenen Kapiteln gegeben hatte. Ich beschloss die Szene erstmal beiseite zu lassen, irgendwann würde ich schon wieder dazu zurückkommen. Das bin ich dann auch. 2 Jahre später! 

Es wird euch nicht helfen euch von eurem Projekt zu distanzieren, weil das sehr schnell dazu führen kann, dass ihr die Geschichte aus den Augen verliert. Im Grunde gibt es nur eine Lösung gegen eine Schreibblockade:

Trotzdem schreiben.

Jetzt höre ich euch schon durch den Bildschirm rufen: "Aber das ist ja das Problem: ich weiß nicht, was ich schreiben soll!" Ihr müsst euch einfach folgendes klar machen: nur weil ihr nicht wisst, was ihr schreiben sollt, heißt nicht, dass ihr nicht schreiben könnt. Es ist wichtig, das ihr trotz allem Wörter auf eure Seite bekommt, denn ansonsten werdet ihr niemals von diesem Stolperstein wegkommen und wie ich dort ewig feststecken. Als ich damals zu besagtem Kapitel zurückgekehrt bin, hat sich nicht viel verändert. Es ging weiter, weil ich wieder angefangen habe zu schreiben. Ich habe mich hingesetzte und einfach geschrieben.

Im Grunde lässt sich die Schreibblockade auf drei Varianten auslegen, die man alle irgendwie besiegen kann:

Motivation
So schön das Schreiben auch ist, manchmal kann es uns Schreiber auch nerven und wir wollen uns einfach nicht hinsetzen und Wörter produzieren.
Die Lösung ist, mit dem Rumjammern aufzuhören! Klingt hart, aber man muss sich einfach selbst überwinden und trotzdem schreiben. Irgendwann kommt die Motivation wieder zurück. Wenn man früh morgens aufstehen muss, ist das auch zuerst nicht schön. Aber man wäscht sich, putzt sich die Zähne und zieht sich an und irgendwann denkt man "Ich kann's schon durch den Tag schaffen." So ist es mit dem Schreiben: dranbleiben und Geduld zeigen, sich wieder reinfinden und schon ist die Motivation wieder da.

Qualität
Meistens liegt es nicht an dem was sondern an dem wie. Jeder Autor hat Angst davor, dass jemandem das Geschriebene nicht gefallen wird. Wir alle wollen die bestmögliche Variante unserer Geschichte darlegen und oftmals stehen uns die Wörter im Weg, weil wir unsicher sind, wie wir sie nutzen sollen.
Man muss als Schreiber lernen zu akzeptieren auch mal Schrott zu schreiben. Ein perfekter Zustand existiert nicht und es wird sowieso immer jemanden geben, der eure Schreibereien nicht mag. Es ist überhaupt nicht schlimm auch mal was schlechtes auf die Seite zu bringen; das gehört dazu und es ist immerhin besser irgendwelche Wörter auf der Seite stehen zu haben, als gar keine. Außerdem kann man jeder Zeit zu dem Geschriebenen zurückkehren. Überarbeitung ist sowieso notwendig, egal wie toll der Schreibstil ist. Notfalls kann man alles löschen oder verändern, aber wichtig ist nur, dass überhaupt Wörter auf der Seite stehen. Und gerade etwas, was einem etwas schwerer fällt, kann oft zu ungeahnten guten Szenen führen. Wenn man mal aus seiner comfort zone rauskommt und eine Herausforderung beim Schreiben hat, entwickelt man sich so auch weiter und kann Texte schreiben, die eventuell ungeahnt gut werden.

Inspiration
Jetzt geht es um das was. Wenn man in seiner Geschichte nicht mehr weiß, was als nächstes kommen soll. Das ist im Grunde gar kein wirkliches Problem, weil es sich (besonders bei längeren Projekten) schnell lösen lässt. Stichwort Outline. Dafür ist eine detailliert Outline da, eben damit ihr den Faden nicht verliert und ihr immer wisst, wie es mit eurer Story weitergehen soll. Stellt also sicher, dass eure Outline detailliert genug ist. Lieber zu viele Details, als zu wenige ansonsten überseht ihr vielleicht eine coole Stelle, die ihr einbauen wolltet.

Und wenn gar nichts mehr geht, wenn wirklich keine Worte kommen wollen: dann macht eine Schreib-Pause aber geht nicht von eurem Projekt weg! Beschäftigt euch mit etwas anderem, das aber trotzdem mit eurer Story zu tun hat. Outline, Charakterentwicklung, Hintergründe, Karten gestallten, Kapitel überarbeiten sind nur einige der Dinge, die ihr für eure Geschichte tun könnt, auch wenn ihr gerade nicht daran schreibt. Wichtig ist, dass ihr dabei bleibt, eben damit ihr euren Fokus und eure Motivation für diese Geschichte nicht verliert.

Das wäre es mit meinen Tipps gegen die Schreibblockade. Falls ihr noch ein paar mehr Details dazu wollt, könnt ihr das Video dazu hier ansehen. Ich hoffe, dass ich euch etwas helfen konnte und merkt euch: Schreibt! Egal was passiert!

Mittwoch, 13. April 2016

Die Legende von Alteria - 2. Kapitel

Lorane saß auf dem Fensterbrett in ihrem Zimmer und hatte ihren Kopf in ein Buch gesteckt. Sie war heute früher aufgewacht als sonst, weswegen sie noch genügend Zeit hatte, bis die Schule begann. Sie blätterte eine Seite weiter. Ihre Augen flogen über die Zeilen hinweg, huschten aber öfters noch einmal hinauf, um einen Satz erneut zu lesen. In den letzten Tagen war sie sehr nachdenklich gewesen, wie immer zu dieser Zeit. Es war Anfang März, die Bäume draußen auf der Straße bekamen ihre ersten Knospen und der letzte Schnee schmolz dahin. In wenigen Tagen war es wieder soweit, dann war der zehnte März, Loranes Geburtstag. Eines, der wenigen Dinge, welches ihr Gedächtnis ihr noch geben konnte. Dieses Jahr war es ihr fünfzehnter, dann war es ungefähr fünf Jahre her, dass sie zu Jenny und Markus gekommen war.
Lorane wusste, dass diese beiden nicht ihre richtigen Eltern waren, Markus und Jenny hatten ihr das damals sofort erklärt. Ihre wahren Eltern konnte sich Lorane kaum ins Gedächtnis rufen. Sie war nur in der Lage sich bis zu dem Moment zurück zu erinnern, an dem Jenny sie vor ihrer Haustür gefunden hatte, nachdem sie durch die Straßen getaumelt war. Das wenige, was ihr geblieben war, waren ihr Name und die Andenken an den zehnten März, alles andere glich eher einem verschwommenen Gemälde, das Lorane nie so recht zu deuten wusste. Es war als wollte ihr Verstand sie darin hindern hinter die einfachen und offensichtlichen Erinnerungen zu blicken. Hin und wieder sah sie in ihren Träumen lange Gängen, die sie in einem riesigen Gebäude entlangging. Manchmal glaubte sie sich an eine riesige Stadt und ein Gefühl von Heimweh zu erinnern. Ein klares Bild wollte sich aber nie formen.
Als sie Jenny gefragt hatte, woher sie gekommen war und warum sie bei ihr war, hatte diese sie nur mit leeren Augen angeschaut. Dennoch hatte sie sich bereit erklärt Lorane bei sich aufzunehmen, nachdem sie mit Markus alles mehrmals besprochen hatte. Dieser war zunächst nicht allzu erfreut gewesen ein fremdes Mädchen von zehn Jahren bei sich aufzunehmen, doch er war weich geworden, nachdem er Loranes Geschichte gehört hatte und sich immer wieder Jennys flehende Miene ansehen musste. Es war ja nicht so gewesen, dass er kein Kind haben wollte, aber er hätte lieber ein eigenes bekommen, um dieses selbst großzuziehen. Doch mit der Zeit hatte er Lorane in sein Herz geschlossen und sie als seine Tochter akzeptiert.
Lorane klappte jetzt ihr Buch zu und warf einen Blick auf die Uhr an ihrem linken Handgelenk. Wo zum Henker blieb denn Jeremy? Er holte sie morgens immer ab, damit sie gemeinsam zur Schule gehen konnten. Heute schien er allerdings auf sich warten zu lassen, obwohl er normalerweise immer pünktlich war. Erneut schaute Lorane auf ihre Uhr. Noch länger konnte sie jetzt nicht auf ihn warten, es war schon nach viertel acht und dreiviertel würde die erste Stunde beginnen. Da war Jeremy bereits der ältere von beiden (er würde im April siebzehn werden) und war somit von Lorane zum Verantwortungsvollem erklärt worden und dann so was. Lorane grummelte und wusste genau, was die erste Frage war, die Jeremy heute zu hören bekommen würde.
Sie stand auf stellte sich noch einmal vor ihren kleinen Holzspiegel, der direkt neben der Tür hing und bürstete sich ihr dunkelrotes Haar, das ihr bis zur Hüfte reichte, bis sie es zu einem Pferdeschwanz zusammenband. Sie schnappte sich ihren Rucksack und lief zur Tür hinaus. Mit einer Umarmung für Markus und einem Kuss auf die Wange für Jenny verließ Lorane das Haus.

Draußen herrschten zwar mildere Temperaturen, aber dennoch zog Lorane den Reißverschluss ihrer Jacke nach ganz oben, als sie den Gehweg entlanglief. Gerade frisch aus den Winterferien zurückgekehrt, gähnte sie trotzdem, als sie an einer Ampel stand, doch das lag wohl eher an der Tatsache, dass Lorane einfach keine Person war, die am Morgen gut zu gebrauchen war. Anders jedoch Jeremy, der zu fast jeder Zeit wach und aufmerksam zu sein schien. Umso mehr überraschte es Lorane, dass er sie nicht pünktlich abgeholt hatte. Vielleicht ist er ja krank, dachte sie sich, was sie allerdings nicht wirklich glauben konnte, da Jeremy so gut wie nie krank wurde. Lorane lachte kurz auf. Vielleicht war er ja dieses Mal extra früh aufgestanden und war schon in der Schule. Sie kannte Jeremy. Er war ein absoluter Bücherwurm, wenn er nirgendwo anders zu finden war, saß er höchstwahrscheinlich in der Bibliothek und brütete über irgendeinem Wälzer.
Gerade als Lorane über ihren besten Freund schmunzelte, kam dieser fast wie aus dem nichts von links auf sie zugelaufen. Sie blieb stehen und wartete bis er bei ihr war, bevor sie ihn begrüßte.
„Morgen, Schlafmütze.“
Jeremy strich sich einige Strähnen seines schwarzen Haares zurück, die ihm ins Gesicht gefallen waren, dann erwiderte er Loranes Lächeln. Er war ein Stück größer als das Mädchen und blickte mit freundlichem Gesicht zu ihr hinunter während sie ihren gemeinsamen Schulweg in schnellen Schritten fortsetzten.
„Du bist doch sonst immer so früh wach“, fragte Lorane. „Wieso heute so spät? Wegen dir hätte ich vielleicht noch die erste Stunde verpasst.“
Zunächst lachte Jeremy kurz auf, dann antwortete er:
„Ich hatte noch etwas Wichtiges zu erledigen, was leider etwas länger gedauert hat als geplant.“
Er hoffte, dass sie es nicht bemerkte, doch Jeremy war nicht gut darin den Ton seiner Stimme zu verstellen. Lorane sah auch, dass er an dem Henkel seiner Umhängetasche herumfummelte oder sich hastig den Kragen seines pikfeinen weißen Hemdes richtete.
„Bist du nervös?“, fragte Lorane sofort. „Du wirkst komisch.“
Sie bemerkte sofort, dass er versuchte ihrem Blick auszuweichen, ließ aber nicht locker und sah ihn so lange an, bis er Antwort gab. Ertappt nahm er die Hände von der Tasche und begann mit ihnen die Nervosität in seinen Worten beiseite zu gestikulieren.
„Ehrlich gesagt hat es etwas mit dir zu tun.“
Sie sah ihn überrascht an und ihr fiel auf, dass ihm das nicht wirklich angenehm zu sein schien. Ohne zunächst weiter zu fragen, wartete sie, um zu sehen ob er noch etwas sagen würde.
„Du hast doch in drei Tagen Geburtstag…“, sprach Jeremy schließlich weiter, „Ich wollte fragen ob es für dich in Ordnung wäre, wenn…“
Er brach kurz ab, um sich zu sammeln. Lorane sah ihn mit großen Augen an und wunderte sich ob Jeremy gerade das versuchte zu fragen, was sie vermutete oder ob er bloß versuchte witzig zu tun.
„Ich wollte etwas mit dir besprechen und deswegen wollte ich dich fragen, ob wir uns kurz vor diesem Tag irgendwann einmal treffen könnten?“
Für einen kurzen Moment wäre Lorane beinah stehengeblieben. Sie stutzte und wagte es nun nicht mehr Jeremy direkt anzusehen.
„Meinst du das auf die Art, für die ich es gerade halte, oder…?“ Sie wusste nicht genau wie sie es ausdrücken sollte.
Sofort riss Jeremy die Augen auf und schüttelte heftig den Kopf.
„Nein! So meine ich das nicht!“, sagte er hastig mit einem nervösen Lachen. Er hatte gehofft, dass es nicht zu dieser merkwürdigen Situation kommen würde, aber bei der Art von Fragestellung ließ sich das wahrscheinlich nicht vermeiden. „Ich wollte nur etwas mit dir so bald wie möglich besprechen, das ist alles!“
Er war rot geworden und hatte die Stimme leicht erhoben, doch dann steckte er mit einer aufgeregten Bewegung seine Hände in die Hosentaschen und wagte es nicht weiter ein Wort in den nächsten Minuten zu sagen.
„Ist okay“, beruhigte Lorane ihn und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Schließlich nickte sie mit dem Kopf und sagte: „Wir können uns mal nach der Schule treffen.“
-
Der Schultag verging ohne größere Ereignisse und Lorane war mehr als froh, als nach einer nicht enden wollenden Physikstunde endlich die Klingel der Freiheit ertönte. Sie beugte sich zu Jeremy hinüber, der in Ruhe seine letzte Rechenaufgabe ausfüllte.
„Nach Hause?“
„Es ist Dienstag. Du weißt, dass ich nicht kann.“
„Ach ja!“ Lorane griff sich an die Stirn. „Der Schach-Club braucht sein einziges Mitglied.“
„Von insgesamt sechs, Dankeschön!“, entgegnete Jeremy.
Lorane rollte mit den Augen und beide lachten. „Na dann mach ich mich mal auf den Weg“, sagte sie und Jeremy ließ sich wiederwillig umarmen. „Bis morgen!“

Das Wetter war trüb geworden und Wolken hatten sich vor die Sonne geschoben. In den Tiefen ihrer Jacke versteckt bog Lorane gerade in eine Nebenstraße ein, die direkt auf die Hauptstraße führte. Da Jeremy sie nicht begleitete, nahm sie den Weg an einigen alten Wohnblöcken vorbei, damit sie schneller Daheim ankommen würde.
Dann such‘ ich mir halt nächstes Halbjahr auch einen schicken Club raus. Um ehrlich zu sein, hatte Lorane bereits früher darüber nachgedacht, aber sich nie für einen Club hatte entscheiden können. Zum Schachspielen zumindest hatte Jeremy sie bis heute nicht überzeugen können. Sie lächelte über diesen Gedanken, als sie auf einmal von hinten umgestoßen wurde. Fluchend landete sie auf den Boden und drehte sich sofort nach dem Täter um. Niemand war zu sehen.
„Was zum-?“
Sie stand auf und klopfte sich den Dreck von der Hose, da ertönte ein Lachen in der Passage. Es klang amüsiert und war ganz in der Nähe, doch nach wie vor konnte Lorane niemanden ausmachen.
„Hallo?“
Ihrer Erwartung entsprechend antwortete keiner, stattdessen wurde das Lachen immer lauter, bis man meinen konnte, dass der Mann direkt hinter ihr stehen musste. Lorane drehte sich um.
Ein Mann, ganz in Schwarz gekleidet, stand ihr direkt gegenüber. Sein Gesicht wurde von einer Kapuze und einem Tuch verdeckt, so dass sie keine genaueren Züge ausmachen konnte.
„Beweg dich nicht“, sagte der Mann. Seine Stimme war tief und ihre Ernsthaftigkeit schien regelrecht die Luft zu zerschneiden. „Es wird dir nichts passieren.“
Er trat an sie heran und Lorane wollte wegrennen, konnte jedoch nicht. Ihre Beine waren wie versteinert. Benommenheit hatte von ihr Besitz ergriffen.
Der Mann sah an ihr hinunter, wobei er Lorane mit seinen Augen fixierte. Die wiederum spürte nun mit jeder Sekunde mehr und mehr, wie Schwäche sie drohte zu übermannen, so dass sie kurz davor war gleich wieder auf dem Boden zu landen. Kälte durchdrang ihre Gliedmaßen und raubte sie ihrer Sinne. Sie sank mit ihren Knien auf den Asphalt und sah wie der Mann näherkam. Was wollte der nur von ihr?
Über ihnen zogen die Wolken vorbei und Sonnenstrahlen fielen auf die Straße. Diese trafen direkt auf den vermummten Mann, der plötzlich zurückschreckte. Die Erschöpfung in Loranes Körper ließ nach. Sie erhob sich und sah, dass der Mann sich schützend versuchte die Kapuze noch weiter ins Gesicht zu ziehen. Lorane dachte nicht lange nach. Ein kräftiger Tritt in eine unangenehme Region ließ den Mann zusammensacken. Sofort wandte Lorane sich und sprintete die Passage entlang. Einmal noch sah sie hinter sich.
Der Kopf des Mannes fuhr soeben mit schmerzverzogener Miene nach oben, wobei ihm die Kapuze herunterrutschte. Erschrocken wandte Lorane wieder den Kopf nach vorn und rannte so schnell sie konnte. Der Mann hatte sie mit blutroten Augen angesehen!

Der Puls der beiden raste als Lorane hinter sich die Tür zuwarf. Ihr Atem ging schwer und sie brauchte einige Sekunden bis sie sich wieder richtig bewegen konnte, erst dann ging sie von der Tür weg.
Was zum Teufel war das für ein Typ?!  Aufgeregt lief Lorane in der Wohnung auf und ab. Markus und Jenny waren glücklicherweise noch nicht wieder da, sonst hätten die beiden jetzt mit einem riesigen Theater angefangen. Das brachte Lorane sofort zu ihrem nächsten Gedanken: Soll ich den beiden davon erzählen?
Ihr erster Instinkt sagte ja, aber sofort kamen Zweifel auf. Dies war eine ernsthafte Situation, dieser Kerl hatte sie immerhin angreifen wollen. Was er noch vorgehabt hatte, wagte sie sich gar nicht vorzustellen. Aber was würde es schon bringen Jenny und Markus davon zu erzählen? Die beiden machten sie eh schon genug Sorgen um sie, vor allem um diese Zeit. Lorane wollte ihnen nicht noch mehr unwohle Gedanken bereiten.
Außerdem war das, was sie gesehen hatte… Es konnte nicht stimmen, der Kerl hatte ihr nur einen Schreck einjagen wollen. Rote Augen? Kontaktlinsen vielleicht. Aber was soll das denn? Mit so etwas konnte Lorane unmöglich ankommen, das würde ihr doch keiner glauben. Wohlmöglichen würde man sie dann noch auslachen, weil sie behauptete eine Art Vampir hätte sie angegriffen. Aber diese Kälte. Diese unerträgliche Kälte, die Lorane beim Anblick dieser Augen überkommen war. Sie hatte keine Chance gehabt. Als der Blick sie getroffen hatte, war es als hätte der Mann sie nach seinem Willen festhalten können. Als wäre die Energie in ihrem Körper nicht mehr ihre eigene.
Lorane schüttelte sich. Sie wusste nicht, wie sie das Erlebnis hätte beschreiben sollen. Also begab sie sich auf ihr Zimmer und schlüpfte unter ihre Bettdecke, wo sie beschloss erst einmal darüber stillschweigend nachzudenken.    
-
Lorane hatte beschlossen Jeremy nichts von den gestrigen Ereignissen zu erzählen. Es war fünf Minuten bevor die Schulklingel ertönte, als sie gemeinsam ihr Klassenzimmer betraten. Sie kehrten gerade vom Sportunterricht zurück, was Lorane eine Ausrede gab, weswegen sie wortloser als sonst sich ihre Hefter auspackte.
Herr Viler hatten sie alle gehasst vom ersten Moment an da er ihren Klassenraum jemals betreten hatte und dies beruhte wohl auf Gegenseitigkeit. Vor einem Jahr hatte er an ihrer Schule zu unterrichten und bis heute fragten sich die meisten Kinder, ob er wirklich den richtigen Job hatte. Heute sollte der Schultag also mit einer wunderbaren neuen Folterstunde des Mannes enden. Die Stimmung aller würde für den Rest des Tages in Tiefschlaf versinken.
Hinter sich warf Viler die Tür ins Schloss und knallte buchstäblich seine Mappen auf den Tisch. Alle wussten, dass mit diesem Mann nicht zu spaßen war, weswegen augenblicklich alle Schüler in Schweigen verfielen, als Herr Viler sich vor ihnen aufstellte.
„Morgen“, verkündete er ohne jegliche Freude in seiner trockenen Stimme, wobei er den Schülern nicht mal die Chance gab ebenfalls einen guten Morgen zu wünschen und sofort weitersprach. „Ich hatte euch gestern Hausaufgaben aufgegeben, die ich gern hier vorn auf meinem Tisch von allen am Ende der Stunde sehen will.“
Keiner wagte es einmal auch nur ein genervtes Grummeln oder Stöhnen von sich zu geben, was normalerweise auf solch eine Aussage hin folgte, stattdessen hörte man das Geraschel von Papier und Heften, aus welchen einige der Schüler bereits ihre gemachten Arbeiten hervorholten, um sie parat zu haben. Herr Viler lief gern beim Stillarbeiten durch die Reihen, um schon einmal zu sehen ob auch wirklich alle Schüler ihre Aufgaben erledigt hatten.
Lorane rollte nur mit den Augen, nachdem Herr Viler seinen stummen Blick in die Klasse beendet hatte und zu einem Stück Kreide und seinem Notizbuch griff. Der Anfang eines weiteren kleingeschriebenen Blocktextes, der am Ende der Stunde die ganze Tafel ausfüllen würde.
„Der Mann scheint echt nur Probleme Zuhause zu haben“, wandte sich Lorane so leise wie möglich an Jeremy neben ihr während sie begannen abzuschreiben.
„Vielleicht braucht er bloß jemanden zum Frust abladen“, erwiderte Jeremy im selben Ton.
Lorane wagte es nicht aufzulachen, doch nickte mit einem kleinen Lächeln. Ruhestörung wurde bei Viler absolut nicht geduldet.
„Jeremy, könntest du wiederholen was ich eben erklärt habe?“
Jeremy wandte sofort den Kopf nach vorn, Lorane zog scharf die Luft ein und blickte betreten zu Boden. Alle anwesenden Schüler wussten, was Jeremy sogleich blühen würde, doch keiner von ihnen wagte es sich direkt zu ihm umzudrehen.
„Nein, kann ich nicht“, antwortete Jeremy schließlich.
„Und warum nicht?“, bohrte Viler extra noch nach und sah ihm dabei direkt in die Augen.
„Weil ich gerade nicht aufgepasst habe“, sagte Jeremy trocken, wobei er so gut wie möglich versuchte dem Blick des Lehrers standzuhalten. Vilers helle Augen waren wie scharfe Eiszapfen, die sich in Jeremys Kopf bohrten und ihn an jedem seiner Worte mit einem qualvollen Gefühl zurückließen.
„Das dachte ich mir schon. Das war ja auch nicht das erste Mal“, erwiderte Viler nach einer kurzen Pause, in der er sich ein hämisches Lächeln nicht verkneifen konnte. „Du kommst nach der Stunde zu mir nach vorn.“
Und als wäre nichts weiter Auffälliges geschehen, drehte sich Herr Viler zurück zu seiner Tafel und begann wieder mit seiner unleserlichen Handschrift die Tafel zu bombardieren.
Alle Schüler versuchten es ihm gleichzutun, doch in Gedanken blickten sie gerade alle Jeremy an, der nun wieder langsam seinen Kopf wandte. Selbst für Viler war es eher selten einen Schüler nach Ende des Schultages dazubehalten und Lorane kam nicht umhin Jeremy einen mitleidigen Blick zu zuwerfen. Dieser sah nun zu ihr hinüber. Mit ihren Lippen sprach sie Stumme die Worte die Worte Tut mir Leid.
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Jeremy schien Lorane dafür verantwortlich zu machen, dass er Ärger mit Viler bekommen hatte, denn nach der Stunde sah, noch hörte sie ihn. Lorane wusste nicht genau, ob sie wütend auf ihn oder sich selbst sein sollte, denn irgendwo konnte sie nachvollziehen, dass er sauer war, da sie ihn zuerst angesprochen hatte. Sie versuchte sich keinen allzu großen Kopf darum zu machen, aber eben weil Jeremy ihr bester Freund war, hämmerte dieses kleine Schuldgefühl in ihrem Hinterkopf auch noch für den restlichen Tag weiter, als sie am späten Nachmittag gemeinsam mit Jean bei ihr Zuhause an den Schulaufgaben saß.
„Dir ist schon klar, dass das ein bisschen dämlich ist, oder?“
Lorane sah sie verwundert an, gab ihr aber dann mit einem langsamen Kopfnicken Recht.
„Du weißt doch, dass Viler so ein Idiot ist, der bestraft doch jeden sobald er die Chance dafür sieht“, fuhr Jean fort und Lorane schmunzelte einen Augenblick.
Jean lag natürlich vollkommen richtig, außerdem gab es momentan Wichtigeres, als sich um eine kleine Freundschaftskrise zu kümmern.
„Apropos“, sagte Lorane schließlich, „Wir müssen Vilers Hausaufgabe noch fertig bekommen. Es ist schon fast dunkel, ich muss bald gehen.“
Jean zuckte mit den Schultern.
„Lies nochmal die Aufgabe vor“, bat Lorane.
Jean blätterte kurz in ihrem Hefter.
„Interpretieren Sie das gegebene Gedicht und vergleichen Sie es mit dem Gedicht zwei auf der folgenden Seite.“
Beide Mädchen stießen einen genervten Laut aus.
„Ich hasse solche Aufgaben“, gab Jean sofort laut kund. „Vor allem mit diesen sinnlosen Texten, die der uns immer gibt! Wer weiß, wo Viler die immer herbekommt.“
Lorane musste ihr zustimmen. Sie mochte zwar Literatur, aber was Viler ihnen zum Lesen gab, war von sehr merkwürdigem Inhalt geprägt. Mehr als einmal ging es um unbekannte Gestalten und seltsame Naturbeschreibungen, die mehr einer Darstellung des Weltuntergangs ähnelten, als irgendwelchen angeblich poetischen Texten.
„Ich glaube kaum, dass der Autor sich da beim Schreiben wirklich etwas gedacht hat, dafür klingt das alles viel zu absurd“, sagte Jean spöttisch und Lorane lachte.
Doch vom Beschweren würde sich an dieser Aufgabe leider auch nichts ändern, also nahmen die zwei Mädchen das Gedicht in Angriff und saugten sich alle möglichen Ideen einer Interpretation aus den Fingern.
Nach einer halben Stunde  hatten die beiden so weit wie möglich alles aufgeschrieben, was ihnen einfiel, auch wenn sie beide wussten, dass Viler damit nicht zufrieden sein würde. Aber bei solchen Aufgaben taten die beiden oft einfach das Nötigste, um sich nicht noch länger damit zu quälen.
„Na ja, ich mach lieber langsam los“, sagte Lorane schließlich und stand auf. „Markus und Jenny werden sonst sauer, wenn ich erst nach ihnen nach Hause komme.“
Sie warf ihren Rucksack über die Schulter und gemeinsam liefen sie zur Haustür. Hastig zog sie sich ihre Schuhe an, umarmte Jean zum Abschied, dann ging sie hinaus.

Es sollte sich jedoch herausstellen, dass all ihre Arbeit umsonst gewesen war. Es war der Tag vor Loranes Geburtstag und Viler war nicht da. Zur Freude aller war er an diesem Morgen nicht zur Arbeit erschienen und sie konnten ihren Unterricht mit einem Vertretungslehrer verbringen. Das bedeutete eine entspannte Stunde, in der Lorane sich endlich die Zeit nehmen konnte, um mit Jeremy zu sprechen, der sich nun doch wieder neben ihr heute hatte blicken lassen.
„Hey“, begann sie vorsichtig.
Jeremy wandte sich zu ihr um, sagte aber nichts.
„Tut mir Leid wegen der Sache mit Viler gestern, ich hoffe der alte Idiot war nicht zu streng mit dir.“
Einige Sekunden vergingen, dann lachte Jeremy auf. „Alles in Ordnung. Es gab nur ein paar mahnende Worte und die übliche Lektion, aber nichts weiter.“
„Okay, gut“, seufzte Lorane erleichtert. Sie überlegte einen Moment. „Du wolltest doch mit mir was besprechen. Wie wär’s wenn wir das später irgendwo in einem Café machen, jetzt wo du wieder mit mir redest?“
Sie hatte ihn nur ärgern wollen, sah jedoch kurz Argwohn auf Jeremys Gesicht aufblitzen.
„Ist das okay für dich?“, hakte Lorane vorsichtig nach.
Jeremy schien einen Augenblick nachzudenken, bis er endlich lächelte. „Klingt gut. Wie wär es wenn wir uns gegen fünf hier vor der Schule treffen? Ich weiß, wo wir hingehen könnten.“
Erfreut nickte Lorane. „Das passt doch. Ich freu mich schon.“
-
Markus und Jenny arbeiteten in einem Krankenhaus, weswegen beide des Öfteren lange nicht Zuhause auftauchten. Also hinterließ Lorane am späten Nachmittag eine Notiz auf dem Küchentisch und machte sich auf den Weg.
Jeremy war bereits da, als Lorane zur Schule kam. Ein grimmiger Schatten lag über seinem Gesicht. Als er sie jedoch näherkommen sah, schüttelte er den Kopf und setzte ein höfliches Lächeln auf. Die beiden begrüßten sich, wobei Jeremy nervös die Umarmung dieses Mal vermied.
Wortlos gingen die beiden zunächst die Straße entlang bis sie ein Café abseits der Hauptstraße erreichten. Es war ein kleines Bistro, die beiden waren die einzigen Gäste, was wahrscheinlich auch angenehmer war. Lorane setzte sich an einen Tisch, während Jeremy an der Theke für sie beide bestellte und schließlich mit zwei Tassen Tee zu ihnen an den Tisch kam.
Er sprach nicht sofort an worüber er reden wollte, weshalb die beiden sich zunächst schweigsam gegenüber saßen bis Lorane von Vilers Verschwinden erzählte, um so die Unterhaltung zu starten. Sie war neugierig, was Jeremy ihr sagen wollte, aber sie wollte ihn auch nicht drängen.
So saßen die beiden die ersten Minuten da und unterhielten sich, Lorane kam es ein wie Small Talk vor. Sie waren noch immer die einzigen zwei Gäste im Café, von den Mitarbeitern sahen sie nicht viel. Nur als die beiden ihre Tassen leergetrunken hatten, beobachtete Lorane einen Mann mit längeren, blonden Haaren, der begann an den Frontfenstern die Jalousien hinunterzuziehen.
„Schließen die schon?“, fragte sie ein kleinwenig überrascht.
„Sieht so aus“, erwiderte Jeremy trocken.
Das letzte Fenster wurde zugezogen.
„Vielleicht sollten wir doch lieber zu mir gehen, wenn die jetzt schon zu machen.“
Jeremy antwortete nichts und Lorane blickte noch einmal zu der Bedienung, die sich von den Fenstern nun in ihre Richtung wandte.
Ihr stockte der Atem.
Es war der Mann aus der Gasse. Sie konnte ihre Augen nicht von ihm abwenden, denn Lorane musste mit Schrecken feststellen, dass sie sich bei dem kurzen Blick, den sie auf ihn erhascht hatte, nicht getäuscht hatte. Die Augen des Mannes waren rot und sahen sie mit einer tiefen Herablassung an.
„Jeremy!“, rief Lorane und sprang vom Stuhl auf. „Wir sollten gehen! Und zwar schnell!“
Sie wandte sich zu ihm um. Seine Hand klatschte gegen ihr Gesicht und sie ging zu Boden.
„Jeremy! Was zum Teufel- ?!“
Über ihr stand Jeremy, ihr bester Freund, der sie soeben geohrfeigt hatte und nun mit einem seltsamen Lächeln auf sie herabsah.
Lorane wusste nicht wie ihr geschah. Das vor ihr war nicht der Junge, den sie seit zwei Jahren kannte und bisher nie irgendjemandem etwas zu Leide tun konnte. Neben ihn stellte sich nun der Mann vom Vortag und sah sie mit demselben höhnischen Blick an. In seinem schmalen Gesicht, unter seinem linken Auge verlief eine blasse Narbe, auf die Loranes Blick unweigerlich fiel. Sie hörte wie sich irgendwo eine Tür öffnete und kurz darauf traten noch zwei andere Gestalten hinzu, die wie ihre Gesichter unter Kapuzen verbargen. Nur Jeremys Gesicht war das einzige, was Lorane vertraut war. Auf diesem prangte nun ein gehässiges Grinsen und sah sie mit einer seltsamen Gier in den Augen an.
„Jeremy!“, rief Lorane verzweifelt aus, weil sie nicht wusste, was sie sonst sagen sollte. Jegliche anderen Worte versagten ihr.
Als hätte besagter Junge sich gerade an etwas erinnert, schnippte Jeremy kurz mit den Fingern. Lorane konnte nicht glauben, was sie da sah. Er bewegte leicht den Kopf und, als würde er es von sich schütteln, verschwand das tiefe Schwarz in seinen Haaren und wurde ersetzt durch ein helles Blond, welches sich nun bis über seine Schultern zog. Das Gesicht wurde blasser und wich einem um fünfzehn Jahre älteren, das sie nun ebenfalls mit derselben bedrohlichen Farbe ansah, die auch in den Augen der anderen lag.
„Hat ja auch lange genug gedauert“, sagte der Mann mit einem gespielten Seufzer bevor er wieder sein hässliches Grinsen aufsetzte. „Nicht Jeremy, Kleine. – Velacio“ Er sprach mit einer Beiläufigkeit in der Stimme, die Lorane einen Schauer über den Rücken laufen ließ.
Sie wusste nicht mehr, was gerade passierte. Jeremy hatte sich direkt vor ihr soeben in einen erwachsenen Mann mit stechend roten Augen verwandelt. Diese schienen ihre eigenen zu durchlöchern, denn so sehr Lorane auch wollte, sie konnte den Blick nicht von den Männern abwenden. Dann spürte sie erneut wie die Kälte sie überkam. Plötzlich wurde sie von Velacio am Hals gepackt. Mit aller Leichtigkeit hob er sie vom Boden und hielt sie direkt vor sich, wobei er keine Sekunde lang aufhörte zu grinsen.
„Mit unserem Tyranne wolltest du ja nicht mitgehen, also hab ich es mit deinem kleinen Freund probiert.“
Er lachte auf und schmiss Lorane von sich, die mit einem Schrei hart fiel und über den Boden rutschte. Schwer atmend schaffte sie es den Kopf nach oben zu wenden und etwas zu sagen:
„Was habt ihr mit Jeremy gemacht?“
„Nachdem ich diesen Viler nachgemacht habe, war es ganz einfach ihn dazubehalten“, erwiderte Velacio gelassen. „Er hätte doch als erster was gemerkt, also haben wir das gestern schön arrangiert und jetzt bist du hier.“
„Was wollen Sie von mir?“, fragte Lorane, während das Herz in ihrer Brust zu rasen schien.
„Als ob du das nicht wüsstest, Lorane!“, zischte jetzt der Mann namens Tyranne und trat bedrohlich näher.
Lorane war verstummt. Woher kannte er ihren Namen? Und warum dachten die sie wüsste worum es ging?
„Ich weiß wirklich nicht warum-“, setzte sie zu einer verzweifelten Erklärung an, da stieß jemand mit aller Kraft die Tür des Cafés auf.
Jeremy keuchte und ließ seinen Blick schnell über die sich ihm bietende Szenerie schweifen. Er sah zu seiner besten Freundin, die am Boden lag und augenscheinlich mit der Ohnmacht kämpfte.
„Jeremy…?“, sagte sie leise und konnte den Unglauben in ihrer Stimme nicht verbergen.
Die Männer sahen den Jungen wütend an und für einen Moment war das amüsierte Grinsen aus ihren Gesichtern verschwunden. Die zwei Männer, die noch immer die Kapuzen aufhatten, sahen doch dann schnell wieder hinunter zu Lorane. Die hatte versucht sich wieder aufzurappelnd, doch als die Blicke der roten Augen sie trafen, trat erneut die Erstarrung in ihre Glieder. Langsam aber sicher konnte sie die Augen nicht mehr offenhallten.
„Du wärst besser in deinem gemütlichen Versteck geblieben, Jeremy“, sagte jetzt der Anführer Tyranne. Er betonte den Namen des Jungen seltsam sarkastisch.
Er lächelte wieder, doch Jeremy sah ihn mit eingefrorener Miene an. Der Mann schnippte mit dem Finger in Richtung seiner Kumpane.
„Genug gespielt. – Schnapp sie dir, Alero.“
Einer der Kapuzenträger trat vorwärts auf Lorane zu, die mittlerweile nicht mehr in der Lage war dem Gespräch aufrecht zu folgen.
„Man sieht sich, kleiner Paul“, sagte nun Velacio theatralisch und lachte genüsslich.
Ein letztes Mal horchte Lorane verblüfft auf, als sie den ihr sonderbar vertrauten Namen hörte, doch dann packte Alero sie am Kragen und Velacio ging auf Jeremy zu. Sie schaffte es nicht länger Widerstand zu leisten, vor ihr verschwamm jegliche Sicht.
Doch bevor Alero sie ganz hinauf gezogen hatte und Velacio Jeremy erreicht hatte, griff dieser in seine Jackentasche. Er hielt etwas Rundes und Schimmerndes in seiner Hand, das Lorane vor plötzlicher Helligkeit noch einmal blinzeln ließ. Sie spürte, wie sie ganz zu Boden fallengelassen wurde. Dann konnte sie die Ohnmacht nicht länger zurückhalten und schloss ihre Augen.
-
Ein Gefühl der Schwerelosigkeit umfing Lorane bis ihre Augen langsam aufgingen. Sie lag nicht in ihrer Wohnung. Als sie sich aufrichtete sah sie, dass Jeremy neben ihr auf einem alten Stuhl sitzend ein Buch las. Sie lag auf einem kleinen Sofa in der eh schon spärlich ausgestatteten Wohnung, die nur aus einem Raum zu bestehen schien. Während Lorane sich bedachtsam wieder in Bewegung setzte, blickte Jeremy sofort auf, dann lächelte er.
„Du bist gerade noch rechtzeitig wach geworden“, sagte er, wobei er das Buch beiseite lag. „Das wäre ansonsten etwas merkwürdig für dich gewesen, wenn es im Schlaf passiert hätte.“ Er warf einen Blick hinüber zu einer Uhr, die an der Wand hing. Es waren nur noch wenige Minuten bis Mitternacht.
Lorane sagte zunächst nichts. Sie sah ihn mit einer Mischung aus Misstrauen, Verwirrung und Unglauben an, nicht sicher was sie zuerst sagen sollte.
„Du bist…“, stotterte sie schließlich. „Bist du- Ich meine… Du bist Jeremy. Oder?“
Sie kam sich ein wenig dumm vor so eine seltsame, aber dennoch banale Frage zu stellen, doch nachdem was sie gesehen hatte, fühlte sie die Notwendigkeit dafür. Das Lächeln auf den Lippen des Jungen wich einem sanftmütigen Gesichtsausdruck und einem versicherndem Kopfnicken.
„Ja, ich bin es. Mach dir keine Sorgen, wir haben diese Männer abgehängt.“
Er sah wieder zu der Uhr hinüber.
„Wer waren die?“, fragte Lorane schließlich. „Was wollten die von mir?“
Jetzt setzte Jeremy eine nachdenkliche Miene auf, sein Lächeln war verschwunden und er zögerte zunächst einen kurzen Augenblick.
„Ich kann es dir sagen, aber-“ Er sah erneut zur Uhr. „Lorane, es wird gleich etwas mit dir passieren.“
Er sah zu ernst aus, als das Lorane überhaupt die Chance hatte danach zu fragen ob das eine Art Scherz sei.
„Was meinst du damit?“, fragte sie stattdessen und sah ihn leicht taxierend an.
Jeremy schüttelte den Kopf. Es war einer der seltenen Momente, da er nicht wusste wie er etwas erklären sollte. Als sein Blick zum dritten Mal zur Uhr wanderte, verfiel er plötzlich in Nervosität und sagte hastig:
„Dein fünfzehnter Geburtstag wird in wenigen Sekunden anbrechen und das ist nun mal der Zeitpunkt für Leute wie uns. Ich erkläre dir gleich alles!“
Er sah sie mit einem entschuldigenden Blick an, doch bevor Lorane fragen konnte, was er mit seinen Worten meinte, sprangen die Zeiger auf Mitternacht.
Ein warmes Gefühl breitete sich plötzlich in Loranes Brust aus, ganz anders als das, was sie beim Anblick der Männer empfunden hatte. Es durchströmte ihren gesamten Körper, glitt hinauf in ihren Kopf, so dass sie aus unerklärlichen Gründen anfangen musste zu blinzeln, da ihre Augen tränten. Von ihrem Kopf wanderte das Gefühl nach hinten in ihre Wirbelsäule und brach dort schließlich aus ihrem Rücken heraus. Lorane konnte spüren, wie sich hinter ihr regelrecht etwas aufzubauen schien, sich aber dabei dennoch weiterhin an ihr festhielt.
Es hatte nur einige Sekunden gedauert, das wohlige Gefühl war verschwunden. Lorane hatte nicht mal bemerkt, dass sie aufgestanden war und jetzt wieder vor ihr Jeremy in ihr Sichtfeld fiel. Der ältere Junge sah sie mit leuchtenden Augen und einem offenstehenden Mund an, doch er sah ihr nicht ins Gesicht. Er schien auf etwas hinter ihr zu blicken. Lorane wandte den Kopf.

Hinter ihr thronten zwei majestätische Flügel in schwarzer und tiefroter Farbe, die vor wenigen Augenblicken aus ihrem Körper gekommen waren.

Die Legende von Alteria - 1. Kapitel

Ein kühler Luftzug zischte um die Spitze des Palastes von Rectis. Zu Fußen der Stadt waren vier Gestalten zu erkennen, ihre langen hellblonden Haare wehten im Wind. Regungslos und das Rauschen völlig ausblendend, starrten sie mit konzentrierten Blick auf die Festung. Die Männer waren in Schwarz gekleidet, sodass man sie in der Dunkelheit fast nicht erkennen konnte, doch ihre blutroten Augen durchstachen die Nacht wie Pfeile. Die Figur in der Mitte trat hervor und blickte kurz zu seinen Gefährten, dann nickte er ihnen zu. Die vier Gestalten verschwanden.
Mit einer unglaublichen Geschwindigkeit erklommen sie die Anhöhe und bewegten sich auf die Stadtmauer zu, deren südliche Seite von einem Tor flankiert war. Das Eingangsportal wurde von mehreren Soldaten in schweren Rüstungen bewacht, sie bemerkten die vier nicht. Diese fixierten sie nun mit ihren Augen, sie schienen sie mit ihren Blicken regelrecht durchbohren zu wollen. Plötzlich fielen die Soldaten bewusstlos zu Boden.
Die Männer wurden wieder sichtbar.
„Sehr gut“, sagte ihr Anführer. „Lasst uns das endlich hinter uns bringen. Er wartet.“
Er nickte seinen Kameraden zu und wurde unsichtbar. Bis zu diesem Moment war alles gut verlaufen, anscheinend hatte sie niemand bemerkt.
-
In der Festung war es ganz still, nicht einmal das Rauschen des Windes oder das entfernte Besprechen der Soldaten war zu hören. In den Gängen waren alle Türen, bis auf eine, geschlossen. Eine klare, singende Frauenstimme drang leise aus dem Zimmer hervor.
Königin Lira sang ihrer Tochter Lorane noch etwas vor, bevor sie sich zu Bett begab. Mit einem langen, hohen Ton endete das Lied und die Frau verließ das Zimmer.
Kaum hörte sie das Geräusch der sich schließenden Tür, sprang Lorane aus ihrem Bett und eilte zu ihrem Kleiderschrank, gegen den sie klopfte. Ein erneutes Pochen ertönte aus dem Inneren an ihr Ohr. Lorane öffnete die Tür und ein Junge fiel mit einem gedämpften Schrei zu Boden. Er rappelte sich auf und lächelte das Mädchen an, das sagte:
„Paul, dir ist aber schon klar, dass ich dich nicht ständig insgeheim hier schlafen lassen kann?“
Der Junge feixte, griff sich einmal kurz durch sein schwarzes Haar und holte eine Decke aus dem Schrank hervor.

Lira hatte sich, als sie  in ihre Gemächer zurückgekehrt war, vor ihren Spiegel gesetzt und bürstete nun  ihr langes, dunkelrotes Haar; das machte sie immer bevor sie schlafen ging, obwohl ihr Mann oft gesagt hatte, dass dies nicht nötig sei. Lira lachte, als sie gerade wieder daran denken musste und drehte sich zu Merow um, der in einem Stuhl sitzend las. Er fuhr mit der Hand durch seine haselnussbraunen Haare und gähnte.
„Jetzt leg doch endlich mal das Buch beiseite“, sagte Lira. „Du sitzt schon den ganzen Tag in diesem Stuhl, es wird Zeit ins Bett zu gehen.“
Merow lächelte sie an, Lira tat es ihm gleich, dann klappte er sein Buch zu.
„Du hast ja Recht. Ich bin auch schon langsam müde.“
Gerade als er sich aus dem Stuhl erhoben hatte, klopfte es an der Tür. Er schaute Lira mit fragendem Blick an und runzelte die Stirn. Nach einem Moment der Überlegung öffnete er die Tür und ein junger Soldat stand vor ihm, er schien ganz aufgeregt und war vollkommen außer Atem.
„Was ist passiert? Warum klopfst du hier inmitten der Nacht?“
Lira beobachtete mit gespanntem Blick, wie der Mann Merow etwas zuflüsterte, einige wilde Gesten mit seinen Händen machte und dann verschwand. Merow schloss die Tür und drehte sich zu seiner Frau um.
„Was wollte der Mann?“, fragte sie.
Es dauerte einen Augenblick, dann sah Merow sie an und antwortete mit trockener Stimme:
„Du solltest zu ihr gehen.“

Lorane schob ihre Seite des Bettzeugs auf die Seite und legte Pauls Decke auf die Matte.
„Ich weiß nicht, ob ich noch ein Kissen habe“, murmelte sie und beugte sich in ihren Schrank.
Paul schmiss sich auf das überdimensionale Bett und streckte genüsslich die Beine aus. Nach einigem Umsehen nahm er schließlich ein Buch von Loranes Nachttisch und begann darin zu lesen.
Die Tür ging auf und der helle Schein der Fackeln draußen im Gang warf sein Licht in das Zimmer. Paul blickte von dem Buch hoch und sprang sofort auf. Verblüfft lief Lorane zu ihm, um zu sehen wer da in der Tür stand.
„Paul, was tust du denn hier?“
Der Junge stotterte ein paar Mal, ohne jedoch ein richtiges Wort heraus zu bekommen.
„Mama, wieso bist du noch mal hergekommen?“, fragte Lorane, als sie ihre Mutter erkannt hatte.
Lira schaute sich im Raum um, als erwartete sie jeden Moment, dass noch ein Freund ihrer Tochter im Zimmer auftauchen könnte.
„Paul, komm bitte mal zu mir.“
Zögernd und mit rotem Gesicht trat er zu ihr vor.
„Du bist doch ein mutiger Junge, oder?“ Paul nickte langsam. „Dann kannst du mir bestimmt einen Gefallen tun?“
Er nickte noch einmal. Lira beugte sich zu ihm hinunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Als sie sich wieder aufrichtete, fragte sie:
„Schaffst du das?“
Wieder nickte Paul, wenn auch nicht vollständig überzeugend. Lira ging auf den Tisch zu, der neben Loranes Bett stand und griff nach einem Stück Papier. Hastig tunkte sie die Feder in das Tintenfässchen und schrieb, um schließlich den zusammengefalteten Text mit einem sanften Lächeln in Pauls Hand zu drücken.
„Was ist denn los, Mama?“ fragte Lorane. „Bist du wütend, weil ich Paul heimlich in mein Zimmer gelassen habe?“
Lira lachte und ging einige Schritte auf ihre Tochter zu.
„Nein, natürlich nicht. Es ist wohlmöglich ganz gut, dass du das getan hast.“
„Wirklich?“, fragte Lorane ungläubig.
Lira nahm sie an der Hand und setzte sie auf ihr Bett.
„Pass auf, meine Kleine. Du musst jetzt genau zuhören, denn das ist sehr wichtig, was ich dir sage. Draußen im Gang warten Soldaten auf euch. Ich möchte, dass du mit Paul zu ihnen gehst und die Stadt verlässt.“
Lorane schaute sie mit großen Augen an, sagte aber nichts.
„Flieht so schnell ihr könnt und lasst euch nicht aufhalten, hast du mich verstanden?“
Lorane nickte und da ihre Mutter nicht noch etwas sagte, fragte sie:
„Warum soll ich denn die Stadt verlassen? Kommen du und Papa mit?“
Lira schüttelte den Kopf.
„Es ist wichtig, dass ihr allein geht, ich muss mit Papa hier bleiben.“
„Aber warum sollen wir gehen?“, fragte Lorane ungeduldig und schaute direkt in die Augen ihrer Mutter.
Diese suchte nach einer Antwort, doch es dauerte lang, bis sie sie gefunden hatte.
„Weißt du noch, was ich dir über die Männer aus den Bergen erzählt habe?“, fragte Lira. „Diese Männer sind heute hier und es ist wichtig, dass sie dich nicht finden.“
Sie konnte deutlich das Entsetzen auf Loranes kindlichem Gesicht sehen. Lira strich ihr langsam über den Kopf und lächelte sanftmütig. Sie durfte sie nicht noch nervöser machen.
„Ich bleibe mit Papa hier, damit die bösen Männer euch nicht hinterherlaufen können. Dein Vater sucht schon nach ihnen. Jetzt komm, zieh dich an, schnell!“
Lorane rutschte von ihrem Bett herunter und zog sich schnell einen langes, blaues Gewand und einen Umhang über ihr Nachthemd. Paul stand schon an der Tür und blickte mit langem Hals den Korridor entlang.
„Mama, ich will nicht gehen!“
Lorane zog am Arm ihrer Mutter und schaute sie mit großen Augen an. Sie wusste nicht, was soeben geschah, warum sie den Worten ihrer Mutter folgte, obwohl diese in so zweifelndem Ton gesprochen hatte.
„Meine Kleine“, sagte Lira und beugte sich zu ihr hinunter. „Mach dir keine Sorgen, es wird schon alles gut gehen. Du verlässt doch nicht für immer unser Zuhause. Wir werden dich wieder nach Hause holen.“
Lorane versuchte zu nicken, doch es gelang ihr nicht. Tränen überfluteten ihre Wangen und ein verzweifeltes Lächeln lag auf ihrem Gesicht. Diesen Anblick der eigenen Tochter würde Lira so schnell nicht vergessen.
„Wirklich? Ich werde euch bestimmt wiedersehen?“, fragte Lorane.
Lira zögerte für einen ganz kurzen Augenblick.
„Bestimmt.“
„Wie lange wird es dauern?“, hakte Lorane nach.
Lira lächelte sie noch einmal an, dann sagte sie schwermütig:
„Ich weiß es nicht.“
Sie nahm die Hand ihrer Tochter, sie zitterte. Lorane umarmte ihre Mutter ausgiebig, ihre Finger vergruben sich im Stoff ihres Kleides. Dann drückte Lira ihr einen Kuss auf die Wange; sie bemerkte, dass Lorane sich alle Mühe gab einen weiteren Schwall von Tränen zurückzuhalten.
„Jetzt beeilt euch! Ich hab dich lieb“, fügte sie noch hinzu, als sie ihre Hand losließ, dann wandte sie sich Paul zu. „Vergiss nicht, was ich dir gesagt habe.“
Er nickte stumm und griff nach der Hand von Lorane. Zögernd ließ diese sich mitziehen und blickte noch solange auf die Tür ihres Zimmers zurück, bis sie in einem Abzweig des langen Ganges stand, in dem zwei Soldaten auf sie warteten.
-
Rectis lag in einsamer Stille. Nur allein das Rauschen des Windes hallte durch die Gassen der großen Stadt und klopfte hier und da an die Türen und Fensterläden.
Lorane trat durch das Tor und sofort wehte ihr eine warme Briese ins Gesicht. Sie schaute sich mit verwundertem Gesichtsausdruck um; keine einzige der Wachen war zu sehen, obwohl meist bis zu zehn Leute auf die Eintrittspforte achtgaben.
„Kommt, wir müssen uns beeilen“, sagte einer der Soldaten.
Die beiden Männer nahmen jeweils eins der Kinder auf ihre Arme. Lorane schnaubte, dann sah sie wie sich plötzlich aus dem Rücken der Männer jeweils ein Paar stattliche Flügel schoben. Der Anblick war ihr wohl vertraut, geflogen war sie jedoch bis zu diesem Tag noch nie. Die blauen Augen der beiden Soldaten wanderten ein letztes Mal über die Festung des Palastes, bevor sie mit einem kräftigen Windstoß vom Boden abhoben.
Lorane vergrub ihr Gesicht im Ärmel des Soldaten. Die Tatsache, dass sie flogen, war nicht einmal das, was ihren Körper zum Zittern brachte. Sie spürte die Arme des Mannes um sich und stellte sich vor einfach wieder in ihrem Bett zu liegen. In ihren Ohren hallte die Stimme ihrer Mutter.
Plötzlich durchdrangen mehrere Schreie Loranes Gehör. Das Scheppern von Rüstungen und aufgebrachtes Grölen ertönte aus einer der Gassen. Loranes Kopf fuhr nach oben.
„Was war das?“, fragte sie und schaute hastig umher.
Der Soldat sah sich zwar ebenfalls um, antwortete aber nicht. Lorane sah zu Paul hinüber, der aber zuckte nur ratlos mit den Schultern.
„Ich will sehen, was passiert ist!“
„Unmöglich!“, fuhr der Soldat sofort dazwischen. „Wir haben Befehle von Eurer Mutter und können nicht-“
„Und ich gebe euch den Befehl zu landen!“ Lorane sah den Mann mit eisernem Blick an. Die Schreie hätten von Soldaten oder gar Bürgern der Stadt kommen können. Wenn es tatsächlich eine Gefahr gab, konnte sie ihrem Volk nicht den Rücken zukehren. Ihr Vater hatte ihr stets klargemacht, dass auch eine Prinzessin ihren Leuten gegenüber Pflichten hatte.
„Aber-!“ Der Soldat flog nun auf der Stelle und warf seinem Kameraden nervöse Blicke zu.
„Ich befehle euch zu landen!“, wiederholte Lorane.
Es ertönte kein Widerwort und sie sanken hinab. Sie landeten nicht unweit des Palastes entfernt und sofort sprangen die beiden Kinder von den Armen der Männer. Die Soldaten packten die beiden an den Schultern und zogen sie in eine der Nebengassen der Hauptstraße.
„Ihr wartet hier“, gab der eine ihnen zu verstehen.
Lorane und Paul versuchten beide Proteste einzulegen, der Blick der Soldaten machte ihnen jedoch klar, dass sie bereits weit genug gegangen waren. Der Soldat, der Paul getragen hatte verschwand in die Richtung, aus der die Geräusche gekommen waren.
Kaum war er um die Ecke gebogen, war es wieder ganz still. Lorane und Paul warteten. Missmutig beäugten sie den zweiten Soldaten und die Gasse, in welcher sie standen. Sie warteten lang, sehr lang. Der Soldat wurde ungeduldig, er fuhr mit seiner Hand immer wieder über den Griff seines Schwertes. Gerade als Paul sich nach Lorane umwandte, um etwas zu sagen, rannte diese plötzlich los.
„Es kam aus dieser Richtung!“, murmelte sie.
Der Soldat und Paul reagierten sofort. Lorane bog um dieselbe Ecke wie der andere Wachmann, rannte eine kleine Gasse entlang, bis sie auf einem Hinterhof ankam.
Der zweite Soldat wartete, als hätte er sich nicht von der Stelle bewegt. Wie eingefroren betrachteten sie die Szenerie vor ihnen. Eine Schar von Soldaten lag auf der Erde und rührte sich nicht mehr. Ihre Waffen lagen teils zerstört, teils achtlos auf dem Boden neben ihnen. Unter den bewegungslosen Körpern hatte sich der Boden dunkelrot gefärbt. Die Leichen der Männer waren zerrissen und durchlöchert, Blut überzog ihre silbernen und blauen Rüstungen. In der Mitte der Leblosen lag ein Mann, derer Lorane aufmerksam wurde. Durch die Blutlachen stolperte sie näher heran, der Rest der Szenerie schien sie auszublenden. Der Mann hatte sein Schwert noch in der Hand, sein haselnussbraunes Haar glänzte im Schein des Vollmondes. Lorane stürzte auf ihn zu und drehte ihn um.
Merow hatte die Augen geschlossen. Ein tiefer Schnitt durchzog seine linke Gesichtshälfte und in seinem Brustkorb klaffte ein blutendes Loch. Doch Lorane achtete überhaupt nicht darauf, sondern schüttelte den schlaffen Körper ihres Vaters und spürte sofort wie die Tränen zurückkamen. Sie ließ ihren Kopf auf seine Brust sinken; kein Klopfen war zu hören. Sie war nicht imstande etwas zu sagen, Lorane schloss ihren leblosen Vater einfach in ihre Arme und wollte ihn nie wieder loslassen. Sie weinte, sie weinte bitterlich in sich hinein, warum sie eigentlich hier draußen war hatte sie vollkommen vergessen. Es konnte nicht wahr sein. Erst vor wenigen Stunden hatte sie noch mit ihm im Thronsaal gespielt. Er war leicht erbost mit ihr gewesen, weil sie versuchte hatte zu schummeln. Das konnte nur ein schlimmer Traum sein, der sie nun dafür bestrafte.
Von hinten legte sich eine Hand auf ihre Schulter, sie reagierte nicht darauf. Paul rüttelte Lorane leicht und versuchte ihre Arme von Merows Körper zu lösen.
„Lorane, komm! Du kannst nichts mehr für ihn tun, wir müssen los, sie sind bestimmt schon ganz nah!“
„Er- Er hat Recht. Wir müssen uns beeilen!“, ertönte die matte Stimme des Soldaten.
Lorane konnte hören, wie sie alle auf sie zukamen, aber sie rührte sich nicht. Sie wollte darauf warten, dass Merow zu lachen begann und ihr sagte, dass er nur gespielt hatte.
Paul kniete sich zu ihr hinunter und sprach ihr ins Ohr: „Er wollte, dass du sicher von hier weg kommst, er wollte dich beschützen. Willst du etwa, dass wir deinen Vater enttäuschen?“
Lorane blickte zu ihm auf, schniefte, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und schüttelte den Kopf. Sanft ließ sie ihren Vater zu Boden gleiten und nahm ihre Hand von seiner Brust. Zögerlich trottete sie zu dem Soldaten hinüber, ihre eigene Kleidung nun mit Blut befleckt, und blickte immer wieder auf den toten Körper zurück, bis sie erneut die Flügel sah und sich in den Armen des Soldaten versteckte.
Der Wind zischte an ihnen vorbei, Loranes Tränen verflogen über den Dächern. Nach einigen Minuten erreichten sie schließlich die Stadtmauer von Rectis. Das große, silbern schimmernde Tor stand offen, seine Wachen lagen ohnmächtig am Boden. Ohne sich nach ihren Kameraden umzusehen, landeten die beiden Soldaten unweit der Hauptstraße entfernt.
„Schnell! Folgt mir!“ Der Mann, der Lorane getragen hatte, deutete die abschüssige Landschaft hinab.
Paul musste Lorane regelrecht mit sich zerren und gemeinsam machten sie sich daran den Hügel hinab zu eilen ohne auf dem spröden Stein auszurutschen.
„Wo gehen wir überhaupt hin?“, rief Lorane.
Paul warf fieberhaft einen Blick über die Schulter; er sah niemanden.
„Es ist nicht mehr weit!“, sagte der Soldat hinter ihnen. „Wir müssen Euch nur von hier wegbringen!“
Sie kamen an einem Felsvorsprung an, wo einige Stufen in den Felsen geschlagen worden waren. Zwei Fackeln brannten dort zwischen den grauen Steinen, die den Eingang zu einem Tunnel flankierten. Der erste Soldat rannte hinunter. Hinter ihr sah Lorane aus dem Winkelwinkel, wie der zweite Soldat soeben die Hand ausstreckte, um sie unterstützend am Arm zu greifen. Dann schrie er und stürzte zu Boden. Am Kopf der Treppe wandte Lorane sich um und sah nicht, dass sie ins Leere trat.
Paul war bereits hinabgestiegen und sah wie ihr Körper die Felsen hinabstürzte. Panisch rannte er zu ihr und drehte ihren bewusstlosen Körper um. Blut floss aus einer Wunde an ihrem Kopf, sie atmete aber noch, wie er erleichternd feststellte.
„Nimm sie und lauf in den Tunnel!“, wies der Soldat abrupt an. Er holte den Zettel von Lira hervor, den Paul ihm gegeben hatte. „Tu das, was hier steht und bring sie in Sicherheit!“
Paul stutzte einen Augenblick, dann hörte er erneut den Schrei des zweiten Soldaten oberhalb der Stufen.
„Sie sind hier, beeil dich!“
Hastig wischte Paul das Blut aus Loranes Gesicht, dann half der Soldat ihm hastig dabei sie auf seinen Rücken zu nehmen. Paul rannte an den Flammen vorbei in das Innere des Berges. Zuerst hallte das Grölen des Wachmannes an sein Ohr. Kurz darauf glaubte er im Tunnel Schritte in der Ferne hören zu können. Furcht durchzog Pauls Muskeln, seine Lunge brannte, aber er musste schneller sein!
Er kam am Ende des Ganges an und betrat einen etwas größeren Hohlraum. Dieser war von Fackeln erleuchtet, auch hier befand sich eine Treppe, die zu einer kleinen Erhöhung hinaufführte. Paul lief die Stufen hinauf, nahm Lorane von seinen Schultern und legte sie vorsichtig zu Boden. Er kramte Liras Zettel aus seiner Hosentasche und gerade als er den Mund öffnete, um etwas zu sagen, hörte er dieses leise, kalte Lachen hinter sich. Er warf einen Blick über die Schulter.
„Komm Junge, lass uns das einfach alles vergessen und gib uns das Mädchen“, sagte ihr Anführer, der einen Schritt auf Paul zuging.
Dieser erwiderte nichts und starrte ihn an. Er musste versuchen sich abzuwenden, doch er kam nicht umhin eine Frage zu stellen.
„Wer seid ihr?“
Der Mann vor ihm lachte, diesmal klang es wärmer und dann zog er die schwarze Vermummung von seinem Gesicht. Ein junger Mann stand vor Paul, er hatte ein schmales, blasses Gesicht und unter seinem linken Auge verlief eine helle Narbe, die sich bis zu seiner Nase zog. Seine Augen waren blutrot und hefteten sich sofort an Pauls Anblick wie gierige Insekten.
„Ein neugieriges Kind. Mein Name ist Tyranne und ich bin der Anführer dieser Truppe, die jedem Wort unseres Königs folgeleistet. Apropos“, fügte er hinzu und wurde plötzlich ernst. „Gib uns das weswegen wir hier sind! Her mit dem Mädchen!“ Für einen Moment setzte er wieder dieses gutgemeinte Lächeln auf. „Ich will dich nicht zwingen müssen.“
Paul wandte sich nun endgültig um. Er konnte ihnen Lorane nicht geben! Andererseits würden sie sie einfach holen, wenn er sie ihnen nicht überließ. Gegen die Leute aus dem Norden hatte niemand eine Chance, das wusste er. Langsam lief er auf den Aufgang zu, wo Lorane noch immer ohnmächtig lag und von allem nichts bemerkte. Er trat an sie heran und beugte sich zu ihr hinunter. Den Rücken hatte er den Männern zugewandt, die nicht sahen, dass er in seiner Hand noch immer die aufgefaltete Notiz hielt. Während er vorgab behutsam eine Hand auf sie zu legen, flüsterte er schnell einige Worte in einer seltsam klingenden Sprache, welche er von Liras Papier so klar wie möglich ablas.
Lorane glühte auf, Paul stieß einen Schmerzensschrei aus und zog seine Hand zurück. Er stolperte einige Schritte nach hinten. Loranes Körper begann sich in Licht aufzulösen und schwebte über dem Boden.
„WAS HAST DU GETAN?!“, kreischte Tyranne.
Paul fiel die Treppe hinunter, als von Lorane ein heller Lichtblitz ausging und sie alle für einige Sekunden nichts sahen. Als Paul wieder die Augen öffnete musste er feststellen, dass sie verschwunden war, ohne eine Spur hinterlassen zu haben.
Mit offenem Mund starrte er auf die Stelle, an der sie vor wenigen Sekunden noch gelegen hatte. Schwankend rappelte er sich vom Boden auf. Lira hatte ihm nicht erzählt was sie geschrieben hatte oder was passieren würde. Sie hatte ihm gesagt, dass sie die Befehle an den Soldaten weiterreichen und sie notfalls an sich nehmen sollte. In den Buchstaben der allgemeinen Sprache hatte sie Worte geschrieben, die keinen Sinn ergaben, doch die Anweisung war klar und deutlich gewesen:
Lies diese Worte, wenn Lorane sich im Tempel befindet.
Wie gebannt betrachtete Paul die Stelle, an der seine beste Freundin ins Nichts verflogen war.
„Das hättest du lieber nicht getan, Bürschchen!“

Paul blinzelte einmal, zweimal, bewegte sich aber nicht. Er wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Wortlos blickte er einfach an den Männern in Schwarz vorbei. Tyranne lief auf ihn zu, seine Gefährten folgten ihm auf den Fuß. Paul versuchte nicht einmal zu fliehen, er schloss einfach die Augen und wartete.

Review - The Curious Incident of the Dog in the Night-Time

Es ist mittlerweile schon wieder ein paar Tage her, dass ich dieses Buch gelesen habe und das Video dazu ist auch schon seit längerem draußen. Na ja, dann kommt eben die Rezension für das Buch ebene erst jetzt hier auf den Blog...

Das Buch heißt "The Curious Incident of the Dog in the Night-Time", im deutschen trägt es den Titel "Supergute Tage oder die sonderbare Welt des Christopher Boone". Den komplett anderen deutschen Titel mal beiseite gestellt, muss ich zu Beginn anmerken, dass ich hier nur für die englische Ausgabe sprechen kann. Weil ich meine Bücher gern im Original lesen, werden die meisten der Bücher, die ich hier vorstelle, auf Englisch sein.

(Quelle: Goodreads)
Hier erstmal kurz die Story: "The Curious Incident of the Dog in the Night-Time" ist ein Murder-Mystery-Buch wie kein anderes. Der Detektiv, und Erzähler, ist Christopher Boone. Christopher is fünfzehn und hat Asperger Syndrom. Er weiß viel über Mathe und wenig über Menschen. Er liebt Listen, Muster und die Wahrheit. Er hasst die Farben Gelb und Braun und angefasst zu werden. Er ist niemals allein weiter gelaufen, als bis ans Ende der Straße, doch als er herausfindet, dass der Nachbarshund getötet wurde, begibt er sich sich auf eine gefährliche Reise, welche seine ganze Welt auf den Kopf stellt.

Das Buch an sich hat nur 272 Seiten, man kommt also schnell damit durch und es eignet sich auch gut für zwischendurch oder wenn man momentan nicht die Zeit hat einen fetten Roman zu lesen. 

Warum ich dieses Buch überhaupt erst zur Hand genommen habe: weil es 1. ein Sherlock Holmes Zitat als Titel hat und 2. weil es um einen Jungen mit Autismus geht und mich das persönlich sehr interessiert. Man muss hier bereits allerdings schon etwas wichtiges anmerken: Mark Haddon (der Autor) hat keinerlei Erfahrung mit Autisten und hat auch bevor/während er dieses Buch geschrieben hat, nichts über Autismus oder Asperger recherchiert. In der Geschichte selbst wird auch nie genau gesagt, was Christopher denn genau hat, doch man merkt schnell, dass er unter einen Sozial-Verhaltens-Störung oder ähnlichem leidet. Deswegen finde ich, dass man dieses Buch nicht unbedingt mit der Auffassung lesen bzw. zur Hand nehmen sollte, dass nun eine Geschichte über einen autistischen Jungen erzählt wird. Man kann die Geschichte so interpretieren, muss dies aber nicht.

Die Story wird von Christopher selbst in der Ich-Perspektive erzählt. Das ist in diesem Falle etwas "Besonderes", da es um einen Jungen, der etwas anders redet und denkt. Bei Christopher muss immer alles genau sein, er versteht manchmal nicht die einfachsten Dinge und hat Schwierigkeiten im Umgang mit Menschen und in der allgemeinen Gesellschaft. Das spürt man auch beim Erzählen. Da Christopher so genau ist, wiederholt er sich auch des öfteren oder zeigt genau auf, wie er ein mathematischen Problem löst, damit auch der Leser es versteht. Wenn er über Rätsel nachdenkt oder er sich verloren fühlt, zeichnet er dem Leser oft auch auf, was er gerade sieht bzw denkt. Somit kommt es des öfteren im Buch dazu, dass man lange Listen, Skizzen und Anhäufungen von Werbetafeln quer über die halbe Seite bekommt. Diese Dinge mögen vielleicht für den ein oder anderen Leser irritierend oder zu häufig sein, was ich durchaus verstehen kann. Jedoch zeigen diese kleinen Analogien sehr gut auf wie Christopher denkt und der Leser lernt so mehr über Christophers Verhalten und Charakter. Ich gebe zu, dass ich hin und wieder die langen Listen von Wörtern übersprungen habe, wenn man sich aber für einen kurzen Moment die Zeit nimmt sich mit ihnen zu beschäftigen, kann es durchaus interessant sein. Bei der Erzählweise des Buches kann man also zwei gespalten sein, da Christopher ein ungewöhnlicher Erzähler ist, an den man sich auch gewöhnen muss. 

Die Story selbst, wie sie oben erläutert ist, ist relativ simpel, hat jedoch auch seine kleinen Wendungen hier und da. Zugegeben, man sitzt während des Lesens nicht unbedingt schwitzen da, gespannt, was als nächstes passieren wird, doch man verliert sich gern und schnell in Christophers Geschichte. Die Charaktere sind realistisch und gerade mit Christopher ist es immer wieder sehr interessant zu lesen, wie er auf etwas reagiert oder sich mit anderen unterhält. Da Christopher im Denken und Handeln so anders ist, können die Konversationen in diesem Buch interessant, witzig und manchmal auch etwas frustrierend sein. Eben weil dadurch auch sehr gut gezeigt wird wie die allgemeinen Leute in der Gesellschaft auf jemanden der reagieren, der eben etwas anders ist.    

Dieses Buch mag vielleicht kein riesiger,super-tiefgründiger Roman oder Page-Turner sein, aber es ist dennoch eine Geschichte, die ich sehr gern gelesen habe. Es ist schon ein etwas anderes Buch, in welches man sich zu Beginn etwas gewöhnen muss, doch wenn man sich einmal auf Christopher eingelassen hat, zeigt er dem Leser nicht nur eine nette, interessante Story, sondern auch andere und neue Weisen die Dinge zu sehen. Ich kann dieses Buch auf jeden Fall empfehlen, bewerten würde ich es mit vier von fünf Sternen und ich hoffe, dass uns in Zukunft auch weiterhin solch interessante Literatur begegnet. 

Für eine weitere bzw. ausführlichere Rezension meinerseits, könnt ihr auch gern meinen YouTube-Kanal checken, dort habe ich auch ein Video zu diesem Buch gemacht welches ihr hier findet.